An die verwittwete Frau Baronesse von Sievers in Altona

[4] Dir, edle Trauerfrau, die mit dem Aschenkruge

Ihr turteltäubisch Herz vermählt,

Und sich nach Sievers Sternenfluge

Nie einen Busenfreund erwählt;

Dir, Freundinn meines Herzens und Gesanges,

Der Deinen Lippen oft ein Lächeln abgewann,

Mit einer Art des süßen Zwanges,

Wenn Deine Blicke finster sahn,[5]

Voll Schwermuth deiner bangen Seele;

Dir soll das Schicksal der Cybele,

Ihr Klagen und des Amors Hohn,

Den Mund zu lauten Lachen zwingen;

Eh' noch des Liedes Warnungston

In andrer Wittwen Ohr wird dringen:

Dich warnt die Muse nicht; der schlaue Cypripor

Erfuhr es schon in Jahren deiner Jugend,

Daß er an Dir die Macht verlor,

Und für der Thorheit Pfeil bewahrt Dich Deine Tugend.

Dir leg' ich den Gesang nur vor,

Nebst wenig andern kleinen Liedern,

Um Deine Freundschaft, Deine warme Zärtlichkeit

Durch einen Funken zu erwiedern

Mit öffentlicher Dankbarkeit.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Neue Gedichte, Mietau und Leipzig 1772, S. 4-6.
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