Drittes Buch

[150] So tobten die Titanen bald in Aufruhr,

Bald sanken sie in stiller Trauer hin.[150]

O laß sie, Muse! Laß sie ihrem Leid.

Zu zart bist du, solch Toben zu besingen.

Ein einsam Weh liegt deinen Lippen besser

Und schöner singst du Gram des Einzelnen.

O laß sie, Muse! Oft noch wirst an Ufern,

In Wildnis du gefallne Götter finden,

Die rastlos die verlornen Reiche suchen.

Doch rühre sanft die delphisch süße Harfe,

Und Himmelshauch nur darf das liebe Zwitschern

Dorischer Flöte lieblich unterstützen,

Denn sieh, dem Herrn der Dichtung gilt dein Lied.

Erröte alles, was die Röte kennt!

Du Rose, glühe Wärme in die Luft,

Du Abendrot, ihr morgenroten Wolken,

Umfließt in wonnigem Gelock die Höhn!

Der rote Wein im kühlen Silberbecher

Er brause auf, wie junger Sprudelquell;

Zartlippige Muscheln tief in Meereswogen

Und hoch am Strand, sie mögen Röte fühlen

Durch alle Gänge ihres Labyrinths,

Und Mädchen mögen glühen, wie geküßt!

O Delos, erste Insel der Cycladen,

O Freude deinen grünenden Oliven

Und Pappeln, Palmen über Wiesengründen

Und Buchen, deren Lied der Zephir wiegt,

Und Haselstauden, die in Schatten stehen!

Apoll ist wieder unser goldnes Thema!

Wo war er, als der Sonnenriese leuchtend

Das Leid der andern Götter überstrahlte?

Die schöne Mutter und die Zwillingsschwester

Ließ er in Schlaf im Laubengrund zurück

Und schritt im Morgenzwielicht durch die Weiden.

Maiglöckchen blühten hell um seinen Fuß

Am Bache hin. Die Nachtigall war stille,[151]

Und letzte Sterne zögerten am Himmel.

Die Drossel sang gelassen. Weit und breit

Trug diese Insel Dickicht nicht noch Grotte,

Durch die nicht Murmellaut von Wasser rauschte.

Er lauschte, weinte, und die hellen Tränen

Durchtropften blitzend seine goldne Leier.

Er stand, die feuchten Augen halb geschlossen,

Da nahte unter niedern Zweigen her

Mit feierlichen Schritten eine Göttin,

Und sinnvoll lag auf ihm ihr tiefer Blick,

Den er befangen zu enträtseln suchte,

Indem er sanft und klingend zu ihr sprach:

»Wie kamst du über unwegbare Meere;

Doch wär es möglich, daß in diesen Hainen

Du seltsam Wesen unsichtbar gehaust?

Ja sicherlich, ich hörte diese Kleider,

Wenn ich allein in kühlen Wäldern lag,

Durch welke Blätter rauschen. Ja, ich fühlte

Der faltigen Gewänder sanfte Bogen

Durch Wiesen gleiten, sah die Blumen alle

Die Köpfe heben, als ihr Flüstern kam.

O Göttin! Dieser Augen ewige Ruhe,

Ich sah sie schon, sah dieses Antlitz schon –

Es sei denn, daß ich träumte.« »Ja,« sprach sie,

Die Himmlische, »du hast von mir geträumt

Und wachtest auf und sahst an deiner Seite

Die Leier ruhn, die ganz aus Golde war,

Mit Saiten, denen, wenn du sie berührtest,

Das ungeheure nimmermüde Ohr

Des ganzen Weltalls schmerzbeseligt lauschte,

Daß solch ein Tönewunder möglich war.

Wie sonderbar, daß du nun weinen solltest,

Der so begnadet ist! Erzähle, Jüngling,

Welch Sorgen fühlst du? Denn ich bin in Trauer[152]

Um jede Träne, die du weinst: enthülle

Den Kummer einer, die auf dieser Insel

Die Stunden deines Schlafs und deiner Freude

Bewachte, von dem jungen Tage an,

Da deine Kinderhand gedankenlos

Die zarten Blumen pflückte, bis dein Arm

Für alle Zeit den Bogen spannen konnte.

Zeig einer altehrwürdigen Macht dein Herz,

Die heiligen Thronen nur um dich entsagte,

Der neugebornen Lieblichkeit zum Heil.«

Apollo dann, mit klaren Augen forschend,

Gab Antwort, und die liederreiche Kehle

Erbebte, als er sprach: »O Mnemosyne!

Dein Name kommt mir, weiß ich auch nicht wie.

Muß ich dir sagen, was so gut du siehst?

Muß ich zu zeigen suchen, was dein Mund

Enträtseln kann? Vergessenheit drückt dunkel

Und leidvoll auf mein Auge ihre Siegel.

Ich forsche nach, weshalb ich traurig bin,

Bis Schwermut alle meine Glieder lähmt.

Im Grase lieg ich dann und seufze tief.

Wie einer, der einst Schwingen trug. – Warum

Fühl ich mich so erniedrigt, da die Luft

Doch meinen Schritten fügsam ist. Warum

Ist meinem Fuß verhaßt der grüne Rasen?

O selige Göttin! Zeige Unbekanntes:

Gibt's keinen andern Ort als diese Insel?

Was sind die Sterne? Und da ist die Sonne,

Die Sonne! Und des Monds geduldiger Glanz!

Und Tausende von Sternen! Zeig den Weg

Zu irgend einem einzig schönen Stern,

Und mit der Leier will ich in ihn flüchten,

Daß seine Silberpracht vor Wonne bebe.

Ich hörte wolkigen Donner. Wo ist Macht?[153]

Wes Hand, wes Art, o welche Göttlichkeit

Schafft diesen Aufruhr in den Elementen,

Indes ich tatlos hier an Ufern lausche,

Unwissend, furchtlos, dennoch schmerzbewegt?

Einsame Göttin, sprich, bei deiner Harfe,

Die jeden Morgen, jeden Abend klagt,

Weshalb durchirr ich fassungslos die Haine?

Stumm bleibst du – stumm! Doch kann aus deinem Blick,

So stumm er ist, seltsame Lehr ich lesen.

Unendlich Wissen weckt in mir den Gott.

Namen, Ereignisse, Legenden, Taten,

Rebellen, Herrscher, Götterstimmen, Kampf,

Erweckung und Zerstörung, alles dies

Stürzt in die weiten Höhlen meines Hirns,

Macht einen Gott aus mir, als hätt' ich Wein,

Hätt' Trank getrunken, der unsterblich macht.«

So sprach der Gott, und seine Augen strahlten

Ihr zitternd Licht auf Mnemosyne hin.

Bald faßte ihn ein Beben, und Erröten

Durchglühte seinen himmlisch schönen Leib.

Es schien wie Kampf am schweren Tor des Todes,

Nein, mehr noch, als ob einer Abschied nehme

Von ewigem Tod und mit lebendigem Schmerz –

So heiß, wie Todesschmerzen eisig sind –

In wildem Krampf ins Leben sterbe. So

Durchbebte jung Apollo heiße Qual.

Sein Haar, die so berühmten goldnen Locken,

Umwogten seinen ungestümen Hals.

Und über seinen Kampf hielt Mnemosyne

Die Arme aufgereckt wie Seherin.

Da schrie Apollo auf – und seht, von seinen

Himmlischen Gliedern . . . . . . . . . . . . . . . . .


(Fragment.)[154]

Quelle:
Keats, John: Gedichte. Leipzig [1910], S. 150-155.
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