Elftes Kapitel
Don Correa

[577] Wie wenn sie Reinharts Vorsatz und Vorbereitung gekannt hätte, sagte Lucie am Morgen, als die drei Personen wieder unter den Platanen am Brunnen saßen: »Heute werden wir leider die Zeit ohne Geschichtserzählungen verbringen müssen, wenn der Onkel nicht dennoch eine zweite Hildeburg erfahren hat oder Herr Ludwig Reinhart noch eine dritte Treppenheirat kennt.«

»Behüt uns Gott«, lachte und murrte der Onkel durcheinander, »vor einer zweiten Schmach jener Art. Ich hatte ein für allemal genug!«

»Und was mich betrifft«, nahm Reinhart das Wort, »so kenne ich einen dritten Fall von der Treppe herrührender Vermählung freilich nicht, dafür aber einen Fall, wo ein vornehmer und sehr namhafter Mann seine namenlose Gattin buchstäblich vom Boden aufgelesen hat und glücklich mit ihr geworden ist!«

»Wie herrlich!« rief Lucie fröhlich lachend, weniger aus Mutwillen als vor Vergnügen und Neugierde, zu erfahren, was jener abermals vorzubringen wisse. »Am Ende«, fügte sie hinzu, »geraten Sie noch zu der Geschichte des heiligen Franz von Assisi, der die Armut selbst geheiratet hat! Oder Sie sind sogar eine Art Reiseprediger für Verheiratung armer Mädchen? Fangen Sie an!«

»Ohne Verzug!« sagte Reinhart, indem er sich räusperte und begann:
[578]

»Wir sprechen von dem portugiesischen Seehelden und Staatsmanne Don Salvador Correa de Sa Benavides, der schon in jungen Jahren so tatenreich gewesen, daß er bereits damals den Haß der Neider erfuhr, während die Jugend sonst von diesem Übel verschont zu bleiben pflegt. Denn ältere Männer müssen schon sehr traurige Gesellen werden, bis sie Jünglinge oder Frauen wegen eines Erfolges beneiden. Den Jünglingen selbst aber ist das Laster meistens noch unbekannt, oder es nimmt in ihnen wenigstens die edlere Gestalt eines fruchtbaren Wetteifers an.

Zu einer solchen Zeit neidischer Verfolgung legte Don Correa den vom Jugendgrün bekleideten Kommandostab nieder und stieß den Degen in die Scheide, und um die Muße nicht ganz ungenutzt vorübergehen zu lassen, gedachte er zum ersten Male der Freuden der Liebe und hielt dafür, da es doch einmal sein müsse, es wäre jetzt am besten, auf die Lebensgefährtin auszugehen, ehe die Tage der Arbeit und des Kampfes zurückkehrten. Nachher sei die Sache abgetan.

Nun bewog ihn aber sein Selbstgefühl, vielleicht der erlittenen Beleidigung wegen und auch in der Meinung, eine um so treuere ergebenere Gattin zu erhalten, dieselbe als ein gänzlich unbekannter und ärmlicher Mensch zu suchen und zu erwerben, so daß er sie mit Verheimlichung von Namen, Rang und Vermögen sozusagen nur seiner nackten Person verdanken würde. Er schiffte sich also zu Rio de Janeiro, wo er Gouverneur gewesen, in aller Stille, nur von einem Diener begleitet, ein und begab sich nach Lissabon. Dort wohnte er unbemerkt in einem entlegenen Gemache seines Palastes und ging nur verkleidet aus, in dei Theater, die Kirchen und auf die öffentlichen Spaziergänge, wo es schöne Damen aus der Hauptstadt und aus den Provinzen zu sehen gab. Lange wollte sich nichts zeigen, was ihm besonders in die Augen gestochen hätte, bis er eines Abends bei irgendeinem der öffentlichen Schauspiele eine junge Frau sah, deren Schönheit und Benehmen ihm auffielen.[579] Sie war weder groß noch klein zu nennen und vom Kopfe bis zu den Füßen schwarz gekleidet, den steifen weißen Ringkragen ausgenommen, der nicht nur dem strengen, wohlgeformten Gesichte mit seinem blühweißen Kinn, sondern auch den dicken schwarzen Lockenbündeln zu beiden Seiten als Präsentierteller diente. Von der Brust glühte ein paarmal, wenn die Dame sich regte, das dunkelrote Licht eines Rubins auf; die Brust selbst zeugte von einem normalen und gesunden Körperbau, desgleichen die in den Händen und Füßen ersichtliche Ebenmäßigkeit.

Diese Dame saß auf einem Lehnsessel in der vordersten Reihe; rechts und links von ihr hockten auf dreibeinigen Stühlchen ein Stallmeister und ein Geistlicher, hinter dem Sessel stand ein Page, und ganz zuletzt hockte noch eine Kammerfrau auf einem Schemel. Alle diese Personen verhielten sich so still und steif wie Steinbilder und wagten kein Wort, weder unter sich noch mit der Herrin zu sprechen, wenn diese nicht einen leisen Wink gab. Merkwürdig schien besonders der Stallmeister, welcher, den hohen Spitzhut auf den Knien haltend, mit furchtbarem Ernste dasaß. So fadenscheinig sein ergrauter und umfangreicher Schädel war, reichten doch die langgezogenen Silberfäden hin, nicht nur auf der Mitte der Stirne eine fest in sich zusammengerollte Seeschnecke zu bilden, die von keinem Sturme aufgelöst wurde, sondern auch noch beide bartlose Wangen mit zwei sauber gekämmten Backenbärtchen zu bekleiden, welche allnächtlich sorgsam gewickelt und hinter die Ohren gelegt wurden. Dafür war das aufwärts gehörnte Schnurrbärtchen von echtem, steif gewichstem Bartwuchse. Der Anblick konnte für närrisch gelten; doch Don Correa wußte schon aus Erfahrung, daß dergleichen komische Pedantismen an untergebenen Beamten und Dienern meist auf Ordnungssinn und pünktliche Pflichterfüllung raten lassen; denn um einen alten Kopf mit solcher Künstlichkeit täglich aufzustutzen, muß ein armer Teufel, der nicht selbst bedient wird, früh aufstehen und sich an geregeltes Leben[580] gewöhnen, das allen seinen Verrichtungen zu gut kommt. Übrigens ging die Sage, das knappe Wams des Stallmeisters sei aus einer alten Mohrschleppe der Dame geschnitten.

Was den geistlichen Herrn betrifft, so bot derselbe durchaus nicht den Anblick eines verwöhnten oder herschsüchtigen Beichtvaters, sondern sah eher einem eingeschüchterten, kurzgehaltenen Hofmeisterlein gleich, und er hielt, während er mit halb niedergeschlagenen Augen die Weltlichkeiten des Schauspiels wahrnahm, mit zagen Händen seinen flach gerollten Hut auf dem Schoße, als ob es eine Schüssel voll Wasser wäre.

Von dem kleinen Pagen guckte nur das weiße spitzige Gesichtchen nebst einem blutroten Wamsärmel hinter der Stuhllehne hervor, und von der Kammerfrau vollends sah man erst, als sie aufstand, daß sie ebenfalls einen hochroten Rock, irgendeine rote Kopftracht und ein Korallenhalsband trug. Die Dame schien sich demnach nur in Schwarz und Rot zu gefallen.

Während sie so unbeweglich und halb gelangweilt dem Spektakel beiwohnte und selten über etwas lächelte, ging dann und wann irgendein Kavalier einzeln oder mit andern, die noch Platz suchten, an ihr vorbei und grüßte sie höflich, wechselte auch wohl ein paar Worte mit ihr, den Hut in der Hand. Sie blickte aber keinem entgegen, der sich nahte, und keinem nach, wenn er weiterging, sondern grüßte nur mit überaus feiner Kopfneigung und holdseliger Bewegung der Lippen, welche den Don Salvador geheimnisvoll reizte, so ernst, ja starr auch der Mund gleich nachher wieder verharrte.

Er fragte, in der Menge der geringen Bürger verborgen, einige Nachbarn nach dem Namen der vornehmen Frau; es konnte aber keiner Auskunft geben, weil sie wahrscheinlich eine Fremde sei. Da er aber mit jedem Augenblicke von der schönen und eigentümlichen Erscheinung mehr eingenommen wurde und jedenfalls wissen wollte, wen er vor sich habe, so blieb ihm nichts anderes übrig, als das Ende abzuwarten und zu sehen, wohin die Dame mit ihrem Gefolge sich begeben würde. Er stellte[581] sich daher zeitig an den Ausgang, durch welchen die Herrenleute sich entfernten, und wartete geduldig, bis die Unbekannte in der gemächlichen Prozession erschien, mit welcher die Grandezza sich fortbewegte, um die bereitstehenden Kutschwagen, Pferde oder Maultiere zu besteigen.

Für die Fremde wurden drei prächtig geschirrte Maultiere bereitgehalten. Das erste bestieg sie selbst mit Hilfe des Stallmeisters, das zweite dieser mit dem Pagen hinter sich, das dritte der junge Priester, hinter welchem die Kammerfrau Platz nahm, sich fest an ihm haltend, so daß, als das herumstehende Volk sich an dem Anblick belustigte, das Pfäffchen schämig errötete. Ein Läufer mit Windlicht ging voran, worauf die drei Tiere eines dem andern folgten und in einiger Entfernung Don Correa den Schluß machte. Der kleine Zug bewegte sich durch Gassen und über Plätze, bis er in den Vorhof der Herberge zum ›Schiff des Königs‹ einbog, in welcher fast ausschließlich reiche oder vornehme Reisende wohnten. Nachdem die Fremde mit ihren Leuten abgesessen und auf den Stiegen, die in die oberen Teile des Hauses führten, verschwunden war, trat Don Correa in eine Gaststube zu ebener Erde, die von See- und Handelsleuten aller Weltteile angefüllt war. Er ließ sich in der Ecke zunächst dem Schenktische eine kleine Abendmahlzeit vorsetzen und begann mit der Aufseherin, die an der Kasse saß und Geld einnahm, ein zerstreutes Gespräch nach Gunst und Gelegenheit, die beide nicht ausblieben. Denn der Don hatte etwas in seinem Gesicht und in seinem Wesen, das vielen Weibern ohne Zeitversäumnis gefiel, obwohl er dieses Vorteiles bis jetzt wenig innegeworden.

Er vernahm also, was er nur wünschen konnte: daß die fremde Dame eine junge Witwe sei und Donna Feniza Mayor de Cercal genannt werde. Sie besitze im Südwesten von Portugal ein kleines Städtchen und großen Reichtum und wohne meistens auf einem einsamen Felsenschloß am Meere; dort lebe sie so eingezogen, daß weiter nichts von ihr gesagt werden könne, und wenn sie nicht alle Jahre einmal nach der Hauptstadt käme, um[582] ihre Geschäfte zu besorgen und ihren Leuten einige Zerstreuung zu gönnen, so wüßte man überhaupt nichts von ihr. In Lissabon mache sie nur wenige Besuche und auf ihre Besitzungen habe sie noch nie jemanden eingeladen. Übrigens sei sie musterhaft religiös und versäume keinen Morgen die heilige Messe; daher beruhe es jedenfalls auf boshafter Verleumdung, wenn hie und da gemunkelt werde, man halte sie für eine Hexe und ihre Dienerschaft für ein Häuflein böser Geister.

Als Don Correa hiermit genugsam unterrichtet war, verließ er die Herberge, um andern Tages desto früher bei der Hand zu sein. Er verwandelte sich in einen halbschwarzen maurischen Matrosen und belagerte das ›Schiff des Königs‹, bis die Herrschaft aus der Türe trat und die Maultiere bestieg. Im gleichen Aufzuge wie gestern, ein Maultier mit der Nase am Schwanze des andern, ritt die Dame nach der großen Kathedralkirche, und Correa folgte. Da er sah, daß am Portale niemand bei der Hand war, die Maultiere zu halten, drängte er sich hinzu und anerbot, den Dienst zu leisten, der ihm vom Stallmeister auch übertragen wurde. Der junge Kriegsmann war seiner Zeit und Geburt gemäß ein guter Katholik; es gefiel ihm daher sehr gut, daß die Frau von Cercal ihre Dienerschaft so vollzählig mit in die Messe nahm und an dem Segen der Religion teilnehmen ließ, und das Gemunkel von einem Zauberwesen erhöhte unter diesen Umständen eher seine Teilnahme, als daß es ihn abschreckte. Nach Beendigung des Gottesdienstes konnte er die Dame nun ganz in der Nähe sehen, und das um so ungestörter, als sie keinen Blick weder auf ihn noch auf irgendeinen der Umstehenden warf. Sie erschien ihm in dieser Nähe und am hellen Tageslichte noch schöner und vollkommener als am vorigen Abend. Er fand in der Eile kaum die Geistesgegenwart, das kleine Trinkgeld aus der Hand des Pagen mit der Miene eines dankbaren Teufels in Empfang zu nehmen. Alles ging wieder so still und feierlich zu, daß der geordnetste Haushalt, die friedlich anständigste Lebensart in dem Banne dieser[583] Frau zu walten schien. Zuletzt kam die Reihe des Aufsteigens an die einer roten Siegellackstange gleichende Kammerfrau, welche der maurische Schiffsgesell dienstfertig hinter den Rücken des Geistlichen hob, und als ihn beim Abreiten der Aufzug noch etwas grotesk anmutete, schrieb er die seltsame Sitte der ländlichen Abgeschiedenheit zu, aus welcher die Dame herkam.

Solange sie noch in Lissabon verweilte, strich er in immer neuen Verkleidungen um sie herum, wenn sie öffentlich erschien, was aber nicht mehr manchen Tag dauerte. Und jedesmal, wo er sie sah, bestärkte sich sein Entschluß, diese und keine andere zu seiner Gemahlin zu machen. Daher nahm er, als sie abgereist war, seine eigene Gestalt wieder an, jedoch mit dem Aussehen eines armen und geringen Edelmannes. Er suchte einen abgetragenen braunen Mantel und einen ebenso mißlichen Filzhut hervor, gürtete einen Degen um, dessen Stahlkorb ganz verrostet war und dessen lange Klinge einen Zoll unten aus der Lederscheide hervorguckte, da letztere längst den metallenen Stiefel verloren hatte. So ausgestattet verließ er vor Tagesanbruch seinen Palast und die Stadt Lissabon und fuhr mit wenigen seiner Leute in der bereit gehaltenen eigenen Barke längs der Seeküste südwärts, bis er in die Gegend kam, wo die Frau von Cercal hausen sollte.

Der Ort, dessen Name sie führte, lag hinter dem Küstengebirge, das Schloß aber, in welchem sie wohnte, an dem steilen Abhange gegen das Meer hin. Don Correa kreuzte so lange auf offener See, bis er sich vergewissert hatte, daß die Donna Feniza wieder dort sei, und er segelte einigemal so nahe vorüber, daß er mit seinen scharfen Augen die Lage und Bauart erkennen konnte. Dann fuhr er wieder hinaus und wartete einen starken Wind oder womöglich ein Sturmwetter ab, und als dieses wirklich eintrat, schoß er auf dem wogenden Meere mit vollen Segeln heran, zog sie ein wie ein strandender Schiffer und ließ sich zuletzt, nachdem die Barke weidlich umhergeworfen worden, wie er war, mit seinem Degen und dem zusammengewickelten[584] Mantel auf den klippenreichen Strand schleudern, so daß er sich mit Mühe durch die Brandung schlug und festen Fuß gewinnen konnte. Seinen Leuten hatte er strenge befohlen, sich mit der Barke wieder auf die offene See zu machen und nach Hause zu fahren, sobald sie sähen, daß er das Ufer erreicht habe. Das taten sie denn auch und wußten mit ebensoviel Kühnheit als Geschicklichkeit das dem Untergange nahe Fahrzeug, welches man vom Land aus schon verloren glaubte, zu wenden und die hohe See zu gewinnen, wo man es bald aus den Augen verlor.

Don Salvador Correa erklomm den schmalen Strandweg und begann einen steilen Staffelpfad hinanzusteigen, der hinter Felsen und Gebüsch halb versteckt in die Höhe führte. Als er einige Dutzend Stufen zurückgelegt, kam ihm ein Knabe entgegen, welcher der ihm schon bekannte Page der Schloßfrau war. Man hatte oben des Fahrzeuges Kampf mit dem Unwetter beobachtet, jedoch nicht sehen können, was zunächst dem Lande vorging, weshalb die Frau den Pagen heruntergesandt, damit er Kundschaft hole. Don Correa fragte den Knaben, wo und auf wessen Gebiet er sich befinde, und gab ihm mit wenigen Worten zu verstehen, daß er gestrandet und ohne Obdach sei, worauf der Kleine ihm verdeutete, er möchte warten, bis er hinaufgelaufen sei und mit den Befehlen der Herrin zurückkomme. Zugleich zeigte er dem Fremden eine natürliche Grotte, welche auf einem kleinen Absatz in den Fels hineinging und eine Ruhebank enthielt, auch mit einem verschließbaren Gatter versehen war. Da die Sonne schon wieder durch die zerrissenen Wolken brach, indessen das Meer noch rollte und rauschte, so hing Don Correa seinen triefenden Mantel über das Gatter, damit er trockne, und setzte sich auf die Bank; denn er war von dem Abenteuer ebenso erschöpft, wie wenn er unfreiwillig gestrandet wäre. Indem bemerkte er lächelnd die zahlreichen Mottenlöcher, die in den dunklen Mantel gefressen waren und nun, da die Nachmittagssonne dahinter stand, wie ein Sternhimmel schimmerten. Drei solche Löcher standen so schön in einer Reihe, daß sie[585] prächtig den Gürtel des Orion vorstellten, einige andere zeigten ziemlich genau das Sternbild der Kassiopeia, zweie standen sich wie die Gestirne der Wage gegenüber, und eine Menge einzelner Löchlein ließen sich je nach ihrer Stellung und Entfernung voneinander von einem Kundigen so oder anders benennen. Weil aber manche davon noch von Wassertropfen wie mit kleinen Glaskügelchen verschlossen waren, so schimmerten sie in den Sonnenstrahlen bläulich oder rötlich, und Don Correa, der ein Sternkenner und Astrologe war, betrachtete die Erscheinung sogleich mit Aufmerksamkeit als ein bedeutsames Spiel des Zufalls. Er brachte unverweilt eine Konstellation zusammen, in welcher ihm das Venusgestirn glückverheißend zu glänzen schien.

Er war in diesen Anblick und die dazugehörigen Gedanken so vertieft, daß er leichte Schritte, die sich näherten, nicht hörte und daher höchlich erstaunte, als der Mantel unversehens von einer Hand zurückgeschoben und statt des Planeten Venus die ganze Gestalt der Donna Feniza Mayor de Cercal sichtbar wurde, hinter welcher der Knabe stand.

Correa erhob sich indessen mit ritterlicher Haltung und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen könne, weil das Meer ihm den seinigen geraubt habe. Aber noch mehr wurde er überrascht, als die in Lissabon so spröd und einsilbig gewesene Frau ihn jetzt mit großen Augen und unverkennbarem Wohlgefallen anschaute und mit fester wohltönender Stimme fragte, woher er komme und woher er sei.

Und von ihrer Schönheit von neuem betroffen, war er kaum imstande, das zurechtgezimmerte Märchen von seinem widrigen Schicksal als armer Edelmann, der sein Glück in weiter Welt zu suchen gezwungen und an diesem Ufer elendiglich gestrandet und im Stiche gelassen worden sei, mit einigem Zusammenhange vorzubringen. Um so bessern Eindruck schien er aber zu machen. Die Frau setzte sich statt seiner auf die Bank, und als sie im weitern Verlaufe des Gesprächs wahrnahm, daß der Fremde[586] nach seinem ganzen Wesen ein junger Mann von Stand, Lebensart, Geist und Entschlossenheit sein müsse, lud sie ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und sich auszuruhen, und schloß damit, ihm die wünschenswerte Hilfeleistung und Gastfreundschaft auf ihrer Burg anzubieten. Ein Hut werde sich ohne Zweifel auch aufbringen lassen, fügte sie bei, als sie schon auf dem engen Steige voranging, während der schiffbrüchige Kavalier mit seinem Mantel folgte und der Page als der letzte die Staffeln erkletterte.

Einige Tage später trug der glückliche Abenteurer nicht nur einen neuen Hut, sondern noch verschiedene andere schöne Kleidungsstücke, welche die Donna ihm geschenkt; nur den alten Mantel mit dem Sternhimmel hatte er noch umgeschlagen, als er mit ihr den Staffelweg hinunterstieg, um an dem einsamen Strande spazierenzugehen. Die Sonne gab aber so warm, daß das sehr hübsche Paar bald einen Schatten suchte und jene Grotte betrat. Hand in Hand saßen sie auf der Steinbank, und als die Sonne tiefergehend auch hier eindrang, hingen sie scherzend den Mantel vor den Eingang und betrachteten die von den Motten geschaffenen Sternbilder.

›Noch nie haben Sterne der Armut ein schöneres Glück bestrahlt!‹ flüsterte Correa und legte den Arm um die schlanke Frauengestalt. Sie deutete mit dem Finger auf ein etwas größeres Loch, das vielmehr wie ein kleiner Riß aussah:

›Hier glänzt sogar eine Mondsichel unter den Sternlein, gleich dem Hirten unter den Schäfchen, wie die Dichter sagen!‹

›Das ist nicht von den Motten, sondern ein verjährter Degenstich!‹ erwiderte Correa. Sie wollte wissen, woher der Stich rühre, und er erzählte, wie er als junges Studentchen einst sich seiner Haut habe wehren müssen, als er nächtlicherweile einem unter dem Hause einer Schönen plärrenden Ständchensinger im Vorbeigehen ein ›Halt 's Maul!‹ zugerufen habe. Denn von Frauenliebe sei ihm sehr wenig bewußt und das katermäßige Miaulen an allen Straßenecken höchst widerwärtig gewesen. Nur[587] der Mantel, den er mit der linken Hand vorgehalten, habe den Stoß des ergrimmten Lautenkratzers abschwächen können. Dessenungeachtet habe er noch ziemlich geblutet.

Ob er jetzo wirklich ernsthaft zu lieben verstehe, fragte Feniza Mayor und küßte ihn, eh er zu antworten vermochte.

So ging es den einen wie den andern Tag, bis die sonst so gemessene und stolze Dame von Cercal gänzlich betört und in Leidenschaft verloren war, und Don Correa fand weder Zeit noch Gedanken, über das Wunder sich zu verwundern, da er selbst in hitziger Verliebtheit gefangensaß; kurz, es war nicht zu ergründen, welches von beiden das andere in so kurzer Zeit verführt und verwandelt habe. Da blieb es denn, weil nichts sie hinderte, nicht aus, daß sie sich zusammen verlobten und die Hochzeit vorbereiteten, die in aller Eile vor sich gehen sollte.

Donna Mayor fragte kaum, woher er stamme, und gab sich mit dem Märchen zufrieden, das er ihr aufband in der Meinung, eines Tages als der vor sie hinzutreten, der er war. Um so unbefangener gab er sich jetzt dem Vergnügen hin, von ihrem Liebeseifer sich kleiden, speisen und tränken und liebkosen zu sehen, da er hieraus die Überzeugung schöpfte, daß er soviel Gunst nur sich allein verdanke.

Die Hochzeit wurde im Palaste der kleinen Stadt Cercal gefeiert, die hinter dem Berge lag. Das zu Pferde über den Berg ziehende Hochzeitsgeleite glänzte und schimmerte weithin und verkündete, daß die schöne Feniza Mayor sich zum zweiten Male verehelichte; doch war eigentlich niemand fröhlich als sie und der Bräutigam. Der merkte aber von allem nichts und freute sich nur auf den Glanz, mit welchem er einst seine Braut überraschen wollte, wenn die Zeit des Glückes und der Macht zurückgekehrt sein werde. Einzig in der alten Kirche fiel nach geschehener Trauung ihm ein seltsamer Anblick auf. An dem Grabmale des ersten Mannes der Donna Feniza, das an einem Mauerpfeiler errichtet war, lehnte die dürre blaßgelbliche Kammerfrau in ihrem blutroten Sonntagskleide und warf einen düster[588] glimmenden Blick auf den blühenden Don Correa. Sie stand bei den Leuten in dem Verdachte, jenen häßlichen und ältlichen Gemahl, von welchem der größte Teil des Reichtums herstammte, im Schlafe aus der Welt geschafft, auch noch andere Dinge verübt zu haben, die ihre schöne Herrin ihr geboten. Doch vergaß Correa, der hievon nichts wußte, den unheimlichen Blick bald wieder.

Etwa ein halbes Jahr lang lebte man nun wie auf der Insel der Kalypso, bis der Tatendurst des Salvador Correa endlich mit doppelter Gewalt wieder erwachte und ihn nicht länger so weichlich dahinleben und träumen ließ. Er hatte schon geheime Winke erhalten, daß die Regierung sich seiner zu bedienen und trotz seinen Feinden ihn mit erhöhtem Ansehen zu bekleiden wünsche, weshalb er es an der Zeit fand, nach Lissabon zu reisen und die Verhältnisse herzustellen. Aber noch sollte die Frau nicht wissen, um was es sich handle, sondern erst nach verrichteten Dingen mit ihm in seinen Palast einziehen. Er teilte ihr daher lediglich mit, daß er eine Reise in notwendigen Geschäften vorhabe, und da sie hierüber feuerrot im Gesicht wurde, achtete er nicht sehr darauf, streichelte ihr die flammenden Wangen und begab sich in den Stall, um die Pferde auszusuchen für ihn und einen Reitknecht. Allein es kam der Stallmeister herbei, fragend, was zu seinen Diensten stände, und als Don Correa die zwei Pferde bezeichnete, die man ihm satteln solle, zog der Stallmeister ehrerbietig sein ledernes Hauskäppchen, machten einen steifen, aber tiefen Bückling und sagte höflich, die Pferde gehörten seiner gnädigen Donna und er werde nicht verfehlen, ungesäumt ihre Willensmeinung einzuholen. Hierauf richtete er sich wieder in die Höhe, worauf Correa dem Alten, den er aufmerksam betrachtet, eine Ohrfeige gab und ihn aus dem Stalle warf, nicht sowohl aus Roheit als aus angeborener Matrimonialpolitik, die in diesem ersten Falle ihm ungesucht zu Gebote stand, sowenig er auch auf dem Gebiete schon erfahren war. Sodann befahl er einem Knechte mit harter Stimme und strengem[589] Blicke, die Pferde zu satteln und sich selber zur Abreise bereit zu machen, worauf er wieder in den Saal hinaufging, gestiefelt und gespornt und den alten Mantel um die Schultern geschlagen.

Im Augenblicke seines Eintretens stand die Donna des Hauses leichenblaß und ohne alle Fassung, so unvorbereitet war sie, irgend etwas zu sagen oder zu tun. Bei ihr standen der Stallmeister, der sein zerstörtes Ammonshorn auf dem Schädel mit der Hand bedeckte, und die Kammerfrau. Correa, der immer in der besten Meinung lebte und arglos guter Laune war, umarmte die Frau zum Abschied und teilte ihr beiläufig mit, er habe den Stallmeister, der ihm als dem Herren nicht gehorchen wolle, soeben aus dem Dienste gejagt, und da es in einem hinginge, so entlasse er auch die rotröckige Kammerdame, deren Gesicht ihm nicht gefalle. Beide Personen wünsche er bei seiner Rückkunft nicht mehr zu treffen und werde für anständige und ihm genehme Leute sorgen.

Niemand regte sich oder erwiderte ein Wort. Auf der steinernen Wendeltreppe, die er nun hinabstieg, drückte sich der Page mit feindseligem Blick in eine Ecke. ›Geh hinauf zur Frau‹, rief er ihm zu, ›und sag ihr, ich hätte dich auch fortgejagt! Sollte ich dich noch sehen, wenn ich wiederkomme, so werf ich dich aus dem Fenster!‹ Wie eine Spinne rannte der Page treppan.

Im Torwege standen die Pferde gesattelt und der Reitknecht im Reisekleid dabei. Er benahm sich aber so zögernd und verdrießlich, daß der Herr den Widerwillen gut bemerkte, mit welchem auch dieser Dienstbote ihm gehorchte. In der Tat waren sie kaum einhundert Schritte auf dem Bergpasse davongeritten, so ertönte eine schrille Pfeife aus dem Turmfenster; der Knecht hielt erst eine Weile still, wandte dann sein Pferd und sprengte verhängten Zügels in die Burg zurück.

Stehn wir so? sagte Don Correa bei sich selbst, als er die Flucht des Burschen bemerkte. Anstatt denselben zu verfolgen,[590] setzte er aber seinen Weg fort, da er sich lieber allein behelfen als solchen Dienern anvertrauen wollte. Im übrigen belustigte ihn die Sache eher, als sie ihn ärgerte, und fast bedünkte es ihn, es sei kurzweiliger, ein Weibchen zu besitzen, wo sich ein bißchen Pfeffer und Salz daran finde, statt lauter Honig.

Die Angelegenheit in Lissabon erledigte sich nach Wunsch. Er wurde zum Vizeadmiral ernannt, und jedermann wollte, da er jetzt öffentlich auftrat, sein bester Freund sein. Doch rüstete er sich sofort zur Abreise, da er von der Regierung den Auftrag hatte, mit drei großen Kriegsschiffen nach Brasilien zu gehen und die dortigen Geschäfte vorderhand zu übernehmen.

Das Admiralschiff ließ er zur Aufnahme einer vornehmen Dame einrichten und aus seinem Familienpalaste jede Bequemlichkeit und stattliches Geräte hintragen. Auch kostbare Geschenke aller Art kaufte er ein, welche er der Gemahlin bei ihrer Ankunft auf dem Schiffe zu überreichen und so das von ihr Empfangene reichlich zu erwidern dachte. Denn er hatte beschlossen, mit dem Geschwader bis auf die Höhe ihres Küstensitzes zu fahren, dort anzuhalten und sie auf das Schiff abzuholen, wo sie dann erst vernehmen sollte, wer ihr Gemahl sei.

Die Kunde von dem Auftreten Don Correas verbreitete sich im Lande; aber sowenig das Publikum etwas von seiner Verheiratung wußte, sowenig ahnte die Frau von Cercal, daß von ihrem Manne die Rede sei, wenn sogar in ihre entlegene Felsenwohnung das Gerücht von dem Glanze des neuen Admirals drang.

Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, in einer mondlosen Nacht, fuhren die drei mächtigen Schiffe heran und stellten sich in gehöriger Entfernung dem Schlosse gegenüber auf, dessen Lage der Admiral nicht nur aus den dunklen Formen des Gebirges, sondern auch den hell erleuchteten Saalfenstern des Hauptturmes erkannte. Um die Überraschung möglichst vollständig zu machen, ließ er nur die notwendigsten Laternen auf den Decks brennen und auch die gegen das Land hin verhüllen.[591] Desto heller und prächtiger strahlte das Innere des Admiralschiffes und besonders die große Kajüte, welche einem fürstlichen Saale gleichsah. Eine Tafel war mit Seidenscharlach und über diesem mit weißem Leinendamast gedeckt; mit schwerem Silbergeschirr und vielarmigen Kandelabern beladen, welche mit vergoldeten Gefäßen voll duftender Blumen ferner Himmelsstriche abwechselten, ließ der Tisch vermuten, daß er für eine höchste Ehrenerweisung zugerichtet sei. Vor jedem Gedecke stand ein Stuhl mit hoher wappengestickter Lehne, der eines vornehmen Gastes harrte; längs den mit reichem Zierat bekleideten Wänden unterhielt sich eine zahlreiche Gesellschaft in leisem Gespräche, und zwischen den verschiedenen Gruppen bewegten sich wohlgekleidete gewandte Diener, so wie auch in einem kleinern Gemach zwei Kammerfrauen der Herrin gewärtig waren. Nicht nur die sämtlichen Offiziere der drei Kriegsschiffe, sondern auch eine Anzahl höherer Staatsbeamten mit ihren Weibern und Töchtern, welche die Reise mitmachten, bildeten die ansehnliche, auf die Lösung des Rätsels begierige Versammlung.

Um halb zehn Uhr begab sich Don Correa in ein Landungsboot und ließ sich ans Ufer führen, nachdem er angeordnet, daß genau um Mitternacht, wo er auf der Rückfahrt begriffen sei, alle Verdecke erleuchtet, die Raketen steigen und die Kanonen der Breitseiten gelöst werden sollten. Er hatte sich in den alten braunen Mantel gehüllt und einen einfachen Hut aufgesetzt. Am Ufer ausgestiegen, befahl er der Bootsmannschaft, ruhig seiner zu harren, und schritt unverweilt den Staffelweg hinauf, den er auch in der Dunkelheit zu finden wußte. Das Burgtor war verschlossen; doch sah er durch Gitterspalten einen Lichtschein sich bewegen und klopfte mit dem Degenknopf zweimal an das Tor. Mit einer Laterne vor sich hinleuchtend, öffnete der abtrünnige Stallknecht den Torflügel und starrte dem einsamen Ankömmling in das Gesicht, als ob er den Teufel sähe.

›Geh vor mir her und leuchte!‹ sagte Don Correa kurz, ohne den Burschen zweimal anzublicken. Derselbe gehorchte[592] freilich diesmal dem Befehl; aber er sprang so behende treppauf, daß Correa nicht auf dem Fuße folgen konnte und im Dunkeln tappen mußte. Oben angelangt, stieß der Knecht eine Türe auf und rief mit atemloser Kehle in das erhellte Gemach hinein: ›Der Herr ist da!‹

›Wer ist da?‹ sagte Donna Feniza, die in ihrem Armstuhle am Nachtessen saß.

›Er, der die Ohrfeigen gibt und uns andere weggejagt hat oder noch wegjagen wird!‹

›O du Esel!‹ rief die Frau in all ihrem Reize und ließ zugleich ein kurzes Gelächter läuten, als sie jetzt dicht hinter dem Burschen den Admiral stehen sah und wie er ihn an der Schulter beiseite schob.

Dieser nun schaute mit einem völligen Schrecken auf die Szene, wenn bei einem Manne seiner Art das Wort angewendet und nicht eher mit dem Ausdruck äußerstes Erstaunen zu ersetzen ist. Am runden Tische, an welchem er so manche schöne Stunde ihr gegenübergesessen, waren außer der Herrin noch zu sehen der Stallmeister, die Kammerfrau, der junge Beichtvater, und ihr zunächst ein Unbekannter, ein stämmiger Mensch von halb kriegerischem Anstrich, mit breiten Schultern und einer langen Schmarre über Nase und halbes Gesicht hinweg, so daß auch der Schnurrbart in zwei Teile getrennt und das äußerste Gebüschlein jenseits der roten Furche stand. Diese Entstellung schien jedoch der schönen Hausfrau keineswegs zu mißfallen; denn im ersten Moment, da er unter die Türe trat, hatte Correa mit allem andern auch gleichsam im Wetterleuchten bemerkt, wie sie während des Gelächters einen vollen Blick in das Gesicht ihres Nachbarn geworfen hatte.

Dennoch waren in der Verwirrung seines Geistes die ersten Gedanken nicht auf diese Sorgen gerichtet, sondern auf die glänzende Versammlung an Bord seines Schiffes. Wie sollte er, ohne Zeit zu verlieren und ohne Gewalt zu brauchen, das Haus räumen und die Frau gütlich bewegen, sich in Staat zu werfen[593] oder wenigstens etwas aufzuputzen und ihn zu begleiten, ohne daß er jetzt schon das Geheimnis verriet? Denn trotz dem übeln Eindrucke, den der Auftritt auf ihn machte, schwankte er noch nicht, die wildgewordene Taube festzuhalten und wieder zu zähmen, und dazu brauchte er ja vor allem die herrliche Überraschung, die er mit soviel Mühe und Sorgfalt ihr bereitet hatte.

Aus diesen Gedanken, während welchen er nicht einmal zu bemerken fähig war, wie die Frau nicht Miene machte, sich auch nur ein wenig zu erheben und ihm entgegenzugehen, weckte ihn unversehens ihre Stimme, als sie inmitten der allgemeinen Todesstille sagte:

›Ei wahrlich! Das ist mein Gemahl! Und wie! Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch gegeben, auf Euren Irrfahrten so bald durchgebracht, daß Ihr in Eurem mottenzerfressenen Bettlermantel wieder vor mir steht?‹

Er überlegte einen Augenblick, was sie eigentlich gesagt habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und Liebevolles sei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen Worten:

›Laß dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich weggeschickt habe, bis auf den Spatz, der hinter deinem Sessel steht? Hat dieser nicht ausgerichtet, daß er entlassen sei? Und wer ist der fremde Herr, den ich an meinem Tische so breit dasitzen sehe, ohne mein Vorwissen?‹

Die Dienstleute blickten alle halb spöttisch, halb ängstlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick auf sein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem Leder mit großen Messingschnallen in der Fensternische hing.

Feniza aber sagte mit schnippischen und schnöden Worten:

›Dieser Tisch ist, soviel mir bewußt, mein Tisch, und es sitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, statt zu zanken, lieber den[594] Platz ein, der noch frei ist, und stärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch so, wie es jedem ziemt, der seine Füße unter meinen Tisch streckt!‹

Das plötzliche Gelächter der Anwesenden war zunächst das Echo dieser Rede. Selbst der spitznäsige Page ließ ein durchdringendes Gekicher hören, wie es zu tönen pflegt, wenn unerwachsene Buben sich in die Unterhaltung der Erwachsenen mischen und dieselbe überschreien.

Es gab aber gleich darauf einen größern Lärm. Don Salvador hatte sich mit wechselnder Farbe dem Tische genähert, legte die Hand daran, und indem er sagte: ›So? strecke ich meine Füße unter den Tisch?‹ stürzte er denselben um mit allem, was darauf stand, mit Schüsseln, Krügen, Gläsern und Leuchtern, und dies mit einer solchen Gewalt, daß zu gleicher Zeit alle, die daran gesessen, samt ihren Stühlen zu Boden geschleudert wurden, mit Ausnahme der Frau. Die hatte, von des Mannes verändertem Gesicht und von seinem Herantreten erschreckt, sich merkwürdig schnell von ihrem Stuhl erhoben und in eine Ecke geflüchtet, von wo sie furchtsam und neugierig hervorschaute.

Indessen war der erste, der sich aus der Verwüstung vom Boden aufgerichtet, der fremde Gesell, und Correa sah nun, als jener auf den Beinen stand und mit dem gezogenen Schwerte auf ihn eindrang, daß er es mit einem außergewöhnlich großen und starken Manne zu tun hatte. Er verlor aber keine Zeit; obgleich feiner und schmächtiger gewachsen als jener, ergriff er den nächsten schweren Stuhl von Eichenholz, schwang ihn über dem Recken und schlug nicht nur seine Waffe nieder, sondern auch die rechte Schulter so gründlich entzwei, daß er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Mensch von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zimmer, und ihm folgte die übrige Kompanie, sowie sie sich allmählich aus den Scherben aufraffte. Sie wischten wie chinesische Schatten hinaus; hinter seinem Rücken machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die Herrin, die[595] es mit fast unmerklichem Kopfnicken erwiderte. Nur der Page war noch im Zimmer und steckte die Nase hinter der Frau hervor. Correa tat einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf ihn wie einen jungen Hasen den übrigen nach vor die Türe, welche er hierauf verriegelte.

Dann stellte er sich, auf die gezogene Degenklinge gestützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knien und ausgestreckten Händen dastand, und sagte, nachdem er sie eine Weile ernstlich betrachtet:

›Was bist du für ein Weib?‹

›Was bist du für ein Mann?‹ fragte sie entgegen mit furchtsamer Stimme und immerfort zitternd.

›Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur von Rio bin ich! Wirst du mir nun gehorchen?‹

Durch diese offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib in ihren Augen moralisch wieder das Oberwasser. Denn da sie nur an sich selbst, an ihren Reichtum und an die Kirche, sonst aber an nichts in der Welt glaubte, so schien es ihr ganz undenkbar, daß der eigene Mann, den sie eine Zeitlang als ihre Puppe angesehen, etwas Rechtes sein könnte.

Sie schlug eine unangenehme Lache auf, indem sie rief:

›Nun merk ich, was du für ein Windbeutel bist! Ein Schlucker wie du, den ich schiffbrüchig am Strande aufgelesen, und der berühmte, der reiche Don Correa!‹

›Da du mich nur mir selbst gegenüberstellst und der Vergleich deine bösliche Beschimpfung aufwiegt, so kann ich darüber hinweggehen!‹

Mit diesen Worten, die er mit einer durch die äußerste Not gebotenen Gelassenheit aussprach, da die Zeit unaufhaltsam verstrich und er in seiner Verstrickung aller Sinne nur die Schande und das gefährdete Ansehen erblickte, wenn er wie ein Tor unverrichtetersache zu seinen Schiffen zurückkehrte – mit diesen Worten ergriff er das Weib am Arme und führte es an ein Fenster, welches auf das nächtliche Weltmeer hinausging.[596]

›Dort liegen meine Schiffe vor Anker‹, sagte er; ›in einer halben Stunde werden wir beide dort sein, wo viele Herren und Damen uns erwarten und du als meine Gemahlin begrüßt wirst! Morgen früh kehren wir nochmals hierher zurück, um einzupacken und eine zwischenweilige Verwaltung zu bestellen, denn du wirst mich nach Brasilien begleiten. Jetzt spute dich, ein schickliches Festgewand anzulegen, und wenn du zögerst, werde ich deinen unglücklichen Possen ein Ende machen und deine weiße Kehle mit diesem Eisen durchbohren!‹ Er erhob die lange Degenklinge. Das Auge vom Meere abwendend, wo sie nur einen schwachen Lichtschimmer hatte entdecken können, warf sie den Blick auf das glänzende Eisen. Plötzlich umschlang sie mit den Armen seinen Hals und bedeckte ihm den Mund mit so feurigen Küssen, als sie ihm jemals gegeben.

›Warum sollte ich dir nicht gehorchen, da ich erfahren, wie du an mir hängst?‹ flüsterte sie in zärtlichen Lauten; ›alles ist vorüber, und ich gehe mit dir bis an das Ende der Welt. Aber ich kann mich nicht allein ankleiden, und die Kammerfrau hast du mir vertrieben, also wirst du mir ein wenig helfen müssen!‹

Sie ergriff süß lächelnd seine Hand, und er folgte ohne Widerstand in ihre Kammer, in der Hoffnung, seine Ehre mindestens vor der Welt noch zu retten. Doch behielt er den gezogenen Degen in der Hand, da die Drohung so schnell gewirkt.

Nun begann sie aber die kostbare Zeit zu verzetteln, indem sie erst mit verstellter Unentschlossenheit ein Staatskleid aussuchte und mit niedlichem Geplauder seinen Rat verlangte, dann das Oberkleid, das sie trug, von ihm aufnesteln ließ, tausend Kleinigkeiten herbeiholte, dazwischen mit Kosen und Schmeicheln sich zu schaffen machte, bis die eiserne Wanduhr in der Kammer das Viertel auf Mitternacht schlug.

›Wenn du nicht gleich fertig wirst‹, sagte Correa, ›so trag ich dich mit Gewalt hinunter wie du bist.‹

›Nur noch das große Halsband will ich holen‹, rief sie, ›und den Rubin, der zu dem schwarzen Kleide so gut steht. Und[597] meine weißen Kragen hat die Kammerfrau heute unter den Händen gehabt. Im Augenblick bin ich wieder da.‹

Damit schlüpfte sie aus einer Türe, eh Correa sich besonnen hatte, ob er sie gehen lassen wolle. Die Türe verschloß sie von außen, ganz leise, und durcheilte mit dem Licht in der Hand die übrigen Räume, bis sie ein Stockwerk tiefer ihre vertriebenen Genossen fand, die mit lauernden Blicken in einem Häuflein standen.

›Zündet an! Zündet an!‹ kreischte sie heiser; ›er ist ein Pirat und hat ein Schiff auf der See! Steckt unverzüglich an, es wird euch nicht reuen! Zündet an! Freiheit und Leben sind wohl einen alten Turm wert!‹

Gleich einer Furie eilte sie voraus und hielt das Licht an einen Haufen Reisig, der auf einer hölzernen Treppe lag, während die übrigen ein Gebirge von Strohwellen in Brand setzten, das die steinerne Haupttreppe verstopfte. Dann wurde in der Küche ein großer Stoß entzündlicher Stoffe entflammt, deren Glut bald die hölzerne Diele ergreifen mußte; dann verteilten sich die Dämonen auf den untersten Flur, in den Stall, die Scheune, den Holzschuppen im Hofe, überall Feuer anlegend, und sammelten sich schließlich vor dem Schloßtore, das sie verrammelten, dessen Schlüssel sie mit sich nahmen. Die Pferde waren schon draußen und wurden bestiegen, auch dem Manne mit der gebrochenen Schulter auf eines geholfen; die Kammerfrau hielt ein Kästchen mit Geld, Pretiosen und Papieren auf dem Schoße, und so zog die Gesellschaft, gegen zehn Personen stark, ohne einen Laut von sich zu geben, vom Tore hinweg nach den Bergen zu und velor sich in der Dunkelheit. In diesem Augenblicke donnerten die Kanonen von den Kriegsschiffen, daß die Luft zitterte und der Berg erdröhnte, und als die Übeltäter sich erschrocken umschauten, sahen sie auf dem Meere die Schiffe taghell beleuchtet und eine sprühende Raketengarbe gen Himmel steigen, während eine schmetternde Trompetenfanfare, mit Paukenschall vermischt, herüberklang.[598]

›Das ist kein Pirat, das ist ein großer Kapitän oder gar ein Admiral‹, stöhnte der mit der Schulter, der im Fieber schlotterte.

›Fort, fort! Es ist der Teufel!‹ schrie die Donna Feniza, die jetzt auch wieder zu schlottern anfing, und die Kavalkade der Mordbrenner floh, ohne sich weiter umzusehen, über das Gebirge.

Der Admiral ging aber nicht verloren. Nachdem mehrere Minuten vorüber und die Frau nicht zurück war, wollte er selbst nachsehen, und als er alle Türen von außen verschlossen fand, merkte er den Verrat. Als er aber mit Gewalt eine aufgesprengt und alle Zugänge mit lohendem Feuer angefüllt sah, welches zu durchschreiten schon nicht mehr möglich war, kehrte endlich die ruhige und klare Besonnenheit des tatkundigen Mannes wieder bei ihm ein; statt den Ausgang in der Tiefe zu suchen, die vom Feuer verrammelt war, erstieg er die oberste Höhe des Hauptturmes, in dem er sich befand. Dort hing in einer Mauerlücke eine Glocke, deren Seil auswendig bis in den Hof hinunter ging und dort gezogen zu werden pflegte. Don Correa hatte selbst ein neues Seil besorgt, das nicht dick, aber stark genug war für eine kühne Tat, wenn nur der oberste Punkt, die Verbindung mit dem Glöcklein selbst, versichert wurde. Er stieg also mit allem Bedacht hinauf, ein Licht in der Hand, das freilich von den aus der Tiefe nach der Höhe wallenden Rauch- und Hitzewogen beinah ausgelöscht wurde. Auf der obersten Turmtreppe schnitt er ein Seil, das statt eines Geländers diente, entzwei und befestigte das Glockenseil damit derart, daß er die Fahrt wagen durfte. Dazu diente ihm auch der alte gesternte Mantel, in dessen Falten er beide Hände wickelte, als er nun vom hohen Turme niederglitt. Auf dem Hofe angekommen, mußte er schon zwischen den verschiedenen Brandanstalten hindurchspringen, um ein Ausgangsloch zu erreichen, an welches die Mordbrenner nicht gedacht hatten.[599]

Rasch ins Boot gestiegen und seinen Sitz einnehmend, befahl er die sofortige Abfahrt, und als er genugsam vom Strande entfernt war, sah er das Schloß in roten Flammen stehen, indessen von den Schiffen her die Geschütze dröhnten und der Glanz der Lichter strahlte. Eine sonderbarere Lage hatte er noch nie zwischen zwei Feuern erlebt, und mit bitterem Lächeln genoß er die Ironie und die Lehre dieser Lage, die Lehre, daß man in Heiratssachen auch im guten Sinne keine künstlichen Anstalten treffen und Fabeleien aufführen soll, sondern alles seinem natürlichen Verlaufe zu überlassen besser tut.

Das Gefühl der Befreiung von einer unbekannten schmachbringenden Zukunft und der unmittelbaren Lebensgefahr erhellte dennoch etwas die dunkle Laune, so daß er auf seinem Admiralschiffe die glänzende Gesellschaft zu Tisch sitzen ließ und mit gefaßtem Sinn einige Worte an sie richtete. Er habe geglaubt, sagte er, den Herrschaften eine ehrliche Gemahlin und Reisegefährtin vorstellen zu können; allein der unerforschliche Wille der Vorsehung hätte es dahin gelenkt, daß eine Flamme des Unheiles und des Unterganges angezündet und ein Gericht notwendig geworden sei, welches das traurige Rätsel den Freunden lösen werde.

In der Tat setzte er nach beendigter Mahlzeit noch vor Tagesanbruch ein Standgericht nieder, welches die Verfolgung und Aburteilung der Urheber des Schloßbrandes aussprach. Der Umstand, daß das Verbrechen im Angesichte eines Kriegsgeschwaders verübt und dessen Führer beinahe das Opfer wurde, schien die Gerichtsbarkeit der Kriegsflagge hinreichend zu begründen. Unmittelbar darauf ließ Correa zwanzig Reiter und vierzig Fußsoldaten ans Land setzen und dieselben auf zwei Wegen, die er ihnen angab, nach Cercal marschieren; denn er vermutete mit Recht, daß die Übeltäter sich dorthin gewendet. Sie lagen auch wirklich alle in tiefem Schlafe in der Behausung der Feniza Mayor, als die Soldaten nach Sonnenaufgang anlangten, und wurden zu ihrem Entsetzen aufgeweckt und gebunden[600] nach der Brandstätte am Ufer zurückgeführt, auch eine Anzahl von Urkundspersonen aus dem Bergneste mitgenommen. Ein erfahrener Untersuchungsrichter befand sich schon bei der Expedition, welcher an Ort und Stelle die erste Erhebung des Tatbestandes leitete und die Einzelverhöre vornahm. Nachher wurden die Gefangenen auf das Admiralschiff gebracht, wo unter einem Zelte das Gericht und neben demselben der Admiral mit der Feldherrnbinde und dem Orden des Goldenen Vlieses saß. Vor ihm stand nun die Frau von Cercal inmitten ihres Anhanges, mit zerrüttetem Aussehen, und sie starrte bald nach ihm hin, bald nach den Richtern, bald nach den umstehenden Offizieren und Kriegern.

So treulich die seltsame Sippschaft früher zusammengehalten und so anhänglich die Dienstleute der Herrin bisher geschienen, so gänzlich zertrümmert war jetzt das alles. Eines sagte gegen das andere aus, eines gegen alle und alle gegen eines. Es ergab sich, daß die Kammerfrau den ersten Mann der Feniza auf deren Wunsch hin im Schlafe erdrosselt, nachdem sie den Platz an seiner Seite im Ehebette leise verlassen hatte. Dann zog die Vollzieherin des Mordes, von welcher die Herrin von Cercal abhängig geworden, ihren Bruder herbei, eben den Mann mit der Schulter, der bald als Soldat, bald als Bandit sich herumtrieb. An diesen Menschen hing sich die Frau, bis er kurz vor dem Auftreten des Don Correa, ihrer überdrüssig geworden, mit einem guten Stücke Geld davonging, um sich in den Kriegsläuften, wie er sagte, einen Rang zu erfechten. Während Correas Abwesenheit war er wieder erschienen, und die Frau in ihrem unergründlichen sittlichen und geistigen Zustande hatte ihn auf- und angenommen und nur darauf gedacht, den Correa durch ihn zu vertreiben oder zu vernichten, wenn er wiederkäme. Von unversöhnlichem Haß erfüllt, beriet sie gerade am Tage seiner Ankunft mit ihrer Gesellschaft, was zu tun sei, und sie beschlossen, wenn er nicht anders zu bezwingen wäre, ihn im Schlosse abzusperren und dieses zu verbrennen. Die[601] nötigen Vorkehrungen hatten die Kammerfrau, der Stallmeister und seine Knechte bald getroffen, als sie aus der Stube gejagt waren; denn was im Hause lebte, haßte den vermeintlichen Bettler und Emporkömmling wie Gift, was eben auch eine unglückliche Frucht der Erfindung war, die Correa ins Werk gesetzt, um sich glücklich zu verheiraten, und die ihm bald das Leben gekostet hätte.

Mit alledem waren das Wesen und die Seele der Feniza selbst nicht weiter aufgeklärt, als die Tatsachen gingen. Der Vergleich mit dem schönen weichen Fell einer geschmeidigen Tigerkatze oder mit der blauen stillen Oberfläche eines tiefen Gewässers, auf dessen Grunde häßliches Gewürme im Schlamme kriecht, und dergleichen hätte zu nichts geführt. Ihr Charakter war darum nicht minder auch ihr Schicksal. Wäre es ihr möglich gewesen, in der letzten Stunde den Worten des Mannes zu glauben, mit dem sie sich doch verbunden hatte, so wäre sie ohne Zweifel mit ihm gegangen und gerettet worden. Aber nur für einmal; denn nachher würde sie es nicht über sich gebracht haben, die Selbstsucht, Willkür, die Liebe zum Laster und die vollendeten Künste der Heuchelei zu unterdrücken, die ihre Lebensluft waren.

Jetzt aber war sie ärger zerbrochen als die Schulterknochen ihres Buhlgesellen. Als Correa seine Aussage tun mußte, blickte er sie nicht an; dennoch erschien er ihr auf seinem Stuhle wie ein Höllenrichter. Das weiße feine Kinn, das einst so vornehm auf dem Halskragen geruht hatte, zitterte fahl und schlaff ohne Unterlaß, während ihre scheuen Augen an seinem Munde hingen, und die Perlenzähne klapperten beinahe vernehmlich. Alles dies quälte den Admiral fast soviel wie sie selbst. Denn war sie schuldiger, weil das Geschöpf den wahren Menschen in ihm nicht geahnt hatte, als er, dem es mit der Bestie in ihr geradeso ergangen war?

Nachdem infolge kurzer Beratung alle Angeklagten zum Tode verurteilt wurden, ließ er das Gericht durch ein paar[602] geistliche Kapitelsherren, die an Bord waren, vervollständigen und seine Ehe mit der Verbrecherin feierlich auflösen. Die Gültigkeit dieser letzten Verhandlung kam nicht mehr in Frage, weil die Feniza Mayor von Cercal gleich nachher mit ihren Genossen ans Land zurückgebracht und an der geschwärzten Mauer des ausgebrannten Turmes aufgehangen wurde, worauf der Admiral die Anker lichten ließ und die Fahrt nach Westen fortsetzte. Nach vollen zehn Jahren erst nahm er auf ebenso ungewohnte, aber glücklichere Weise die zweite Frau.

Um diese Zeit nämlich segelte der Admiral Correa von Brasilien aus mit einer bedeutenden Flotte nach der Westküste von Afrika, um die dortigen Besitzungen den Holländern wieder abzunehmen, welche sich während des portugiesischen Verfalls darin festgesetzt hatten. Er erschien unversehens vor St. Paul von Loanda, belagerte und erstürmte diesen und andere Plätze und zwang überall die Holländer zur Übergabe und zum Rückzuge, so daß er in zwei Monaten die Gebiete von Benguela, Loanda, kurz, die südliche Westküste von Afrika der Herrschaft seiner Fahnen und seines Landes wieder unterwarf und seinen Namen mit neuen Ehren erschallen ließ. Dazu brachte er an die zwanzig kleinere Negerkönige unter die Gewalt seines Stabes, sah sich aber dann veranlaßt, haltzumachen und zur größeren Sicherheit und Ausbreitung der portugiesischen Herrschaft den Weg des Unterhandelns einzuschlagen, eh er die Waffen wieder ergriff.

Denn über die hinterliegenden Landstriche dehnte sich in unbekannter Weite das Reich des sogenannten Königs von Angola, dessen wahre Stärke nicht leicht zu berechnen war, zumal er sich in geheimnisvoller Ferne hielt und mit einem Nimbus von Macht und Schrecken umgab, der so gut auf einiger Wirklichkeit als auch nur auf schlauer Prahlerei oder Täuschung beruhen konnte.

Correa setzte sich daher in einer geeigneten Landschaft fest und ließ den für furchtbar geltenden Negerfürsten durch eine[603] Gesandtschaft gefangener Häuptlinge auffordern, sich bei ihm einzufinden, um seine Tributpflicht und die portugiesische Oberherrschaft über ganz Angola anzuerkennen und für den Anfang zum Zeichen guten Willens gleich soundso viel Goldstaub und Elfenbein mitzubringen. Der König von Angola fühlte sich durch diese Botschaft nicht angenehm berührt, suchte sich aber mit eigentümlicher Staatsklugheit aus der Sache zu ziehen. Er tötete die armen Abgesandten, sobald sie Correas Befehle verkündigt, damit sie den Frevel nicht wiederholen konnten. Dagegen sandte er schleunig eine eigene Botschaft mit einigen großen Elefantenzähnen und einem Säcklein Goldsand in das portugiesische Lager und ließ jene Gegenstände als großmütiges Geschenk der Freundschaft überreichen und die Abordnung seiner königlichen Schwester anzeigen, welche mit der Vollmacht zu allem Nötigen ausgestattet sein werde.

Der schreckliche Tyrann und Wüstenlöwe befolgte die Politik manches zahmen Spießbürgerleins in Europa, welches immer die Frau hinschickt, wo Mut und kluge Beredsamkeit erwünscht sind; nur mußte er, da er etwa hundert Frauen besaß, die er selbst nicht fürchtete, dafür zur Schwester greifen, die ein keckes Einzelstück war und im Gerüchte stand, daß sie schon einmal im Begriffe gewesen sei, den König, ihren Bruder, abzusetzen und hinrichten zu lassen.

Daß seine Abgesandten umgebracht worden seien, wußte Don Correa nicht; er betrachtete daher die von dem angolesischen Herrscher getroffenen Maßregeln als Zeichen eines halben Gehorsams und baldiger Unterwerfung; als er aber nach einiger Zeit von den ausgesandten Spähern vernahm, daß Annachinga, die Fürstin von Angola, sich mit einem Gefolge nähere, das eher einem Heerzuge gleiche, so stellte er seine Truppen in einer Ordnung auf, die zur Schlacht wie zur Ehrenparade diente. In der Tat wimmelte es wie ein schwarzer Wolkenschatten heran, der immer mehr ins Breite wuchs und ein bald dumpfes, bald gellendes Dröhnen von Menschenstimmen,[604] Tiergeheul und kriegerischen Instrumenten aus sich herausgebar. Die Portugiesen fanden für gut, als Gegengruß ihre zahlreichen schweren Geschütze abzufeuern, deren Metall in der afrikanischen Sonne funkelte, worauf das dunkle Heerwesen, von dem rollenden, in den Bergen widerhallenden Donner erschreckt, stillstand bis auf den letzten Mann und sich den Anordnungen der heransprengenden Reiter fügte. Diese verlangten, daß nur die Fürstin mit ihrem eigentlichen Gefolge näher komme, der große Haufen aber sich nicht weiter von der Stelle rühre. So entwickelte sich aus der Masse heraus ein kleinerer Zug, der immer noch ansehnlich genug war in seinem barbarischen Pompe mit den damals noch vorhandenen Spuren einer jetzt gänzlich verwilderten Völkerwelt.

Voraus wurde als Geschenk des Königs eine Herde wilder Tiere, Elefanten, Giraffen, Löwen, Tiger und dergleichen an Ketten geführt, und zwar von Männern, die mit ihrem hohen Wuchs und trotzigen Aussehen die Kraft und Überlegenheit des Volkes zeigen sollten, mit welchem man es zu tun habe. Dann ritt ein Dutzend persönlicher Vasallen der Annachinga auf ziemlich bunt geschirrten Ochsen vorüber, jeder von einigen schild- und speertragenden Reisigen oder Knappen begleitet, wahrscheinlich seinen Untervasallen; denn auch diese gingen schlank wie Tannen und elastisch einher, gleich Leuten, die auch noch irgend etwas unter sich haben. Auf einem mit Ochsen bespannten Wagen schwerfälligster Form, der mit Decken behangen war, erschien endlich die Fürstin, in kostbare, offenbar sehr alte Stoffe gekleidet, Hals und Arme mit einer Last von Ketten und Ringen geschmückt. Sie saß nach abendländischer Weise auf ihrem Sitze, eine kalte Unbeweglichkeit zur Schau tragend, von welcher manche große Frau des Okzidents hätte lernen können. Ihrem Wagen folgten zwei andere Wagen mit Hofdamen und Sklavinnen und diesen zu Fuß eine Leibwache mit hundertjährigen guten Stahlwaffen, Hellebarden und Flambergen, die unverkennbar einst im Abendlande geschmiedet[605] worden. Den Schluß bildeten ein Dutzend Fetischträger nebst Hof- und Feld-Regenmachern, deren beschwörerische und drohende Gebärden und Sprünge die portugiesischen Soldaten belustigten. Besonders gegen eine Anzahl Jesuiten, welche herbeigekommen waren, das Schauspiel mit anzusehen, richteten die schwarzen Hexenmeister ihre Verwünschungen, da sie dieselben als ihre Hauptfeinde und Brotneider ansahen; die Jesuiten aber widmeten ihnen die wissenschaftliche Aufmerksamkeit gebildeter Männer und lernten den törichten Heiden ruhig ab, was zu lernen war.

Im Innern des Lagers wurde die Fürstin erst recht mit Trommel- und Trompetenlärm empfangen und eingeladen, vom Wagen zu steigen. Sauber gekleidete, aber keineswegs hohe Offiziere führten sie in eine leicht erbaute lange Zelthalle, die durch Tapeten in verschiedene Räume abgeteilt war. Im erste Raume befand sich eine Versammlung von Würdenträgern und oberen Offizieren, welche die nötigen Erkennungen mit der Fürstin austauschten und die einleitenden Gespräche unterhielten, bis sie zu ihrer Verwunderung vernahm, daß der Höchststehende gar nicht hier, sondern in einem innersten Verschlage aufhältlich sei und sie nur allein, allenfalls in Begleit ihrer Frauen und der Dolmetscher, empfange. Da sie einmal da war, drang sie schweigend, aber mit ungeduldiger Entrüstung vorwärts und stand mit immer größerm Erstaunen vor dem Admiral, der ganz allein auf einem erhöhten Thronsessel saß, nur einen stehenden Pagen neben sich. Er trug den schimmernden Galaküraß, über demselben den feinsten Spitzenkragen und dicke Ordensketten, und auf dem Kopfe den mit Federn ausgeschlagenen Hut mit Goldschnur und Diamantagraffe. Das Gemach war an Wänden und Decke ganz mit gewirkten Seidentapeten bekleidet und der Boden mit Teppichen belegt; im übrigen war außer dem Thronsessel keinerlei Art von Stuhl zu erblicken, ein rotes Kissen ausgenommen, welches in einiger Entfernung vom Throne auf der Erde lag.[606]

Zwei Herren, die sie hereinbegleitet hatten und sich jetzt aufrecht auf die Seite stellten, wiesen stumm auf das Kissen, als Annachinga sich umsah, wo sie Platz nehmen solle. Sie bemerkte nichts, als das Trüpplein ihrer Frauen hinter sich, und winkte eine derselben herbei. Diese kniete unverweilt hinter das Kissen, indem sie die Arme auf den Boden legte und so in der Stellung einer ägyptischen Sphinx einen Ruhesitz bildete. Auf diesen Sitz ließ sich die Fürstin würdevoll nieder, die Füße auf das vor ihr liegende Kissen streckend, stolz und immer schweigend gewärtig, was weiter geschehen werde.

›Es ist wohlgetan,‹ ließ sich der Admiral nun vernehmen, ›daß der Mann, den man den König von Angola nennt, meine Botschafter gehört und den Willen meines Landes und seines Gebieters geehrt hat, obgleich ich noch lieber gesehen hätte, wenn er selbst gekommen wäre!‹

Nachdem die beiden Dolmetscher, die mit hereingekommen, diese Rede zuerst unter sich, dann dem Ohr der Fürstin verständlich gemacht, erwiderte sie:

›Du bist nicht ganz auf dem richtigen Wege des Verstehens, denn deine Abgesandten wurden nicht angehört, sondern vertilgt, wie sie den Mund auftaten!‹

Als diese Worte wiederum übersetzt waren und Don Correa ihren Sinn erfuhr, schwieg er eine Weile und ließ nur sein blitzendes Auge auf der schwarzen Person ruhen. Dann ließ er fragen, warum man die Boten getötet habe und was man für einen Erfolg von dieser Tat erwarte?

›Sie wurden getötet‹, antwortete sie, ›weil sie die Untertanen und Dienstleute des Königs gewesen sind und Unwürdiges gegen ihn in den Mund genommen haben. Durch ihr Blut wurde seine Würde verhöhnt, dir aber ist kein Schaden dadurch geschehen, da du jetzt anbringen magst, was du von uns wünschest!‹

›Ich habe nicht zu wünschen, sondern zu befehlen und zur Rechenschaft zu ziehen!‹ sagte der Admiral in strengem Tone;[607] ›mäßige daher deine Sprache, wenn ich dich nicht binden und wegführen lassen soll!‹

Allein ohne sichtbaren Eindruck dieser Worte, ohne mit den Wimpern oder den Lippen zu zucken, erwiderte Annachinga auf die Drohung:

›Du wirst dich auf die sechzig oder siebenzig weißen Leute besinnen, die in unsern Händen sind! Mehr als die Hälfte davon gehören deinem Lande an!‹

Hiermit schien die Sage bestätigt, daß eine ziemliche Zahl Europäer im Innern von Angola festgehalten werde, wie denn auch seit Jahren manche holländische und portugiesische Kaufleute verschwunden und erst in letzter Zeit noch einzelne Soldaten, die sich verirrt, in Gefangenschaft geraten waren. Obgleich die schwarze Dame mutmaßlich übertrieb, so konnte immerhin genug an der Sache wahr sein, und Don Correa überdachte einen Augenblick das Mißliche des Umstandes und was er zu antworten habe. Aber die Negerfürstin, gleich einer vollendeten Diplomatin, ließ seine Verlegenheit nicht dauern oder groß werden, sondern fuhr sogleich fort, indem sie plötzlich auf die Hauptfrage übersprang.

›Wir wissen nicht‹, sagte sie, ›welchen Nutzen du dir davon versprichst, uns als Unterworfene zu behandeln und uns die Knechtschaft anzubieten, ehe du nur unsere Macht geprüft, einen Angriff gewagt, geschweige denn uns überwunden hast. Und wenn du uns wirklich besiegt hättest, so wären die Vorteile für dich geringer, als dir ein freundliches Verhältnis zu uns gewähren kann. Schließest du ein Freundschaftsbündnis mit uns, das ich dir anzutragen bevollmächtigt bin, so gewinnst du eine starke Vormauer und einen mächtigen Beistand gegen alle übrigen Feinde, die dir bereitstehen, und statt unsere ungezählten Pfeile auf dich gerichtet zu sehen, werden sie gegen deine Feinde schwirren und dir den Weg frei machen. Statt eines erzwungenen Tributes endlich wird deinem Lande ein gegenseitig geordneter freiwilliger Verkehr größern Gewinn bringen, als[608] eine für uns schmähliche Beraubung je abwerfen könnte. Dieses bitte ich zu erwägen, ehe du zu den Waffen greifst; denn ohne Kampf wird es für dich nicht ablaufen, was du anstrebst!‹

Hatte Don Correa schon an der Art ihres Aufzuges erkannt, daß er es mit einer gewissen Macht zu tun hatte, die vielleicht nicht ungestraft zu unterschätzen war, so mußte er sich jetzt sagen, daß dieselbe auch wußte, was sie wollte, und mit Vernunftgründen zu unterhandeln fähig schien. Er änderte also schnell entschlossen seinen Plan und sagte:

›Da man uns bestimmte und deutliche Anträge macht, welche von ehrlichem Entgegenkommen zeugen, so ist genügender Grund vorhanden, hierüber Rat walten zu lassen. Ich bin bereit, bis zum Austrag der Sache freie Verhandlung auf gleichem Fuße zu gewähren, und behalte mir den endgültigen Beschluß nach Umständen vor. Du magst jetzt wählen, ob du inzwischen die Gastfreundschaft in unserer Mitte annehmen oder dich bis zu einer zweiten Unterredung in dein eigenes Heerlager zurückziehen willst!‹

Die Fürstin erklärte, das letztere vorzuziehen, und erhob sich mit derselben stolzen Würde von ihrem Sitze, mit welcher sie sich darauf niedergelassen hatte. Zugleich erhob sich auch der Admiral, um sie seinen Worten entsprechend auf gleichem Fuße zu behandeln und ritterlich hinauszugeleiten. Als dergestalt die Anwesenden dem Ausgange zuschritten, bemerkte Don Correa, daß die kniende Sklavin unbeweglich liegenblieb, und machte lächelnd die Fürstin aufmerksam, daß sie vergesse, ihren lebendigen Feldstuhl mitzunehmen.

›Ich setze mich nie zum zweiten Male auf denselben Stuhl‹, antwortete sie, ohne zurückzublicken. ›So mag er dem Hause bleiben, in welchem ich mich seiner bedient habe. Ich schenke dir diese Person!‹

So aufschneiderisch diese Rede klang, so gab sie ihm doch aufs neue zu denken, und er begleitete die Fürstin nicht ohne kriegerische Höflichkeit bis an den Ausgang des Lagers. Als er[609] hierauf sich wieder in das große Zelt zurückzog, um zunächst die Angelegenheit für sich allein zu überlegen, bemerkte Don Correa mit einiger Überraschung, daß in dem verlassenen Raume das junge Weib noch immer still und reglos auf seinen Knien und Ellbogen lag.

Er trat näher, ging um das schöne Bildwerk herum, welchem das Mädchen oder was es war, eher glich als einem Lebewesen, und betrachtete mit Erstaunen und auch mit Verlegenheit die Erscheinung, mit der er nichts anzufangen wußte. Sie war in weißes Baumwollenzeug gekleidet, das von den Schultern bis zu den Füßen ging und unter den Armen bis gegen die Hüften hin mit Binden von gleicher Farbe umwickelt war. Nur die hellbraunen Schultern und die Arme waren bloß und in Formen von vollkommener Schönheit und Ebenmäßigkeit gebildet. Das Haar erschien trotz seiner Ebenholzschwärze nicht so wollig wie bei den Negern, sondern fiel in weicheren breiten Bändern rings vom Haupte, nachdem es ein auf diesem befestigtes, kronenartiges Körbchen von Weidenzweigen durchflochten. Von dem Gesichte konnte Don Correa nichts sehen, weil es zur Erde gerichtet und von dem niederhängenden Haar verschleiert war.

Obgleich gegen Sklaven und farbige Menschen gleichgültig und verhärtet wie die ganze gebleichte Welt, bückte er sich endlich doch ein wenig und sagte in mitleidigem Tone: ›Wie lange wirst du noch liegen? Steh auf!‹

Das arme Weib erriet den Sinn dieses Befehles und richtete sich empor; doch waren die Glieder von der unnatürlichen Lage beinah erstarrt und der Atem beengt; sie schwankte im Aufstehen und wußte sich nicht recht zu helfen, so daß Don Correa ihr die Hand reichen und sie einen Augenblick halten mußte, um sie vor dem Umfallen zu schützen. Da stand sie nun vor ihm mit vor Scham niedergeschlagenen Augen, und eine Purpurröte wallte sichtbar über die braunen Wangen. Übrigens war die Gesichtsbildung edel, wenn auch an den Schnitt altägyptischer[610] Frauengesichter erinnernd oder sonst an verschollene Völkerstämme alter Zeiten. Verwundert über die vornehme Anmut der ganzen Erscheinung, legte er die Hand unter ihr kurzes Kinn und drückte es sanft in die Höhe, so daß sie den Kopf zurückbiegen und ihn mit den mandelförmigen großen Augen ansehen mußte. Da sah er sowohl in diesen dunklen Augen als auf dem kirschroten Munde die stumme Klage und Trauer der leidenden Natur, die immer das Herz des Menschen rührt, während ihre triumphierenden Schrecken es nicht bezwingen können. Der Mann, der seit zehn Jahren an den schönsten und glänzendsten Frauen achtlos vorübergegangen und für ihre Blicke unempfindlich geblieben, wurde jetzt urplötzlich wie von einem Zauber oder einer Offenbarung bewegt; er vermochte nicht eine Sekunde der Versuchung zu widerstehen, das stille, fremde Menschenbild in den Arm zu nehmen und leis auf beide Wangen zu küssen. Damit zeichnete er es sänftlich als sein Eigentum und schwur in seinem Innern, dasselbe niemals zu verlassen; denn trotz der schlechten Erfahrung, die er einst gemacht, glaubte er jetzt der Eingebung, daß dieses weibliche Wesen ihn nicht betrüben werde.

Zugleich beschloß er auf derselben Stelle, die heidnische Sklavin in den Besitz der menschlichen und christlichen Freiheit und des Selbstbewußtseins zu setzen, eh er weiterging, und rief zu diesem Ende hin seinen Pagen herbei, durch welchen er das Weib sofort nach Loanda in das Haus eines seiner Offiziere bringen ließ, dessen Familie dort wohnte. Ein zurückkehrender Proviantwagen unter der Aufsicht eines ergrauten Soldaten kam der nicht eben großen Reise zustatten.

Als sodann Don Correa die Unterhandlungen mit der angolesischen Königsschwester bis zu einem gewissen Punkte weitergeführt und diese sich mit ihrem Troß hinwegbegeben hatte, eilte er ebenfalls nach Loanda St. Paul. Er fand die Sklavin bei den Frauen des Offiziers wohl aufgehoben und schon in christlicher Tracht einhergehend, das dunkle Haar nach Art der portugiesischen[611] Mägde bescheiden geflochten und aufgebunden. Es wollte ihm beim ersten Anblick fast vorkommen, als hätte sie mit der einfachen Weidenkrone und dem weißen Wickelgewande einen guten Teil ihres geheimnisvollen Reizes verloren, und er bedauerte beinah schon die Umwandlung; doch sah er bald, daß die unschuldige und weltursprüngliche Demut ihres Antlitzes, verbunden mit dem natürlich edlen Gang, der ihr eigen war, jedes Kleid beherrschten, das man ihr geben konnte. Während des Verkehrs mit Annachinga hatte er diese einmal beiläufig, wie man sich etwa aus Höflichkeit über die Beschaffenheit eines Geschenkes bei dem Geber erkundigt, befragt, welcher Rasse die Sklavin eigentlich angehöre und woher sie dieselbe erhalten habe. Er sprach überdies vorsichtigerweise in dem Tone, mit welchem ein Fant sich nach der Nahrung eines geschenkten seltenen Vögelchens erkundigt, ob man es mit Würmern oder mit Körnern füttere und so weiter. Annachinga sagte ihm, die Person stamme von Sonnenaufgang her, wahrscheinlich von einem ausgerotteten Volke, und sei mit ihrer Mutter auf dem Wege der Eroberung und des Handels quer durch den Weltteil bis gegen Westen geraten. Sie selbst habe sie als zehnjähriges Kind erhalten und seither besessen; jetzt möge sie siebzehn Jahre alt sein; sie verstehe weiße und bunte Zeuge zu weben, sonst aber sei sie noch zu roh und unwissend, da sie noch nie aus Frauenhand gekommen. Sie schickte sich am besten für den Dienst seiner Gemahlin oder Fürstin, der er sie schenken möge; die Art sei immerhin rar geworden. Wolle er sie aber bei sich behalten, so solle er sie nur mit der Peitsche dressieren, wenn sie zu ungelehrig sei. Im übrigen habe man noch nichts an sie gewendet hinsichtlich der modegerechten Aufstutzung; noch seien die üblichen Zähne nicht ausgebrochen, die Wangen nicht tätowiert und noch kein Ring durch die Nase gezogen, zu was allem das Alter jetzt da sei.

Höflich, aber leichthin, der Geringügigkeit des Gegenstandes entsprechend, dankte Don Correa der Dame für ihren sportmäßigen[612] Rat und nahm das Gespräch über die wichtigeren Staatsgeschäfte wieder auf.

In Loanda fand er jetzt die Angaben der Annachinga durch das, was man inzwischen der Sklavin hatte abfragen können, so ziemlich bestätigt. Sie erinnerte sich dunkel, als kleines Kind steinerne Häuser an einem Wasser gesehen und einen großen Lärm und Rauch gesehen zu haben, dann an der Hand oder auf dem Arm der Mutter durch unendliche Landstrecken gekommen zu sein, bis die Königsschwester von Angola Mutter und Kind gekauft. Deutlicher war ihr das Spätere gegenwärtig, wie die Mutter von der Fürstin hart behandelt worden und frühzeitig gestorben sei. Sonst wußte sie von nichts weiter, als daß sie Zambo hieß.

Das nächste, was der Admiral nun tat, war, daß er sie taufen ließ und hierfür ein kleines Fest veranstaltete, ohne im übrigen sein Vorhaben zu verraten. Die Kirche wurde mit Palmenzweigen und Blumen geschmückt, unter dem Vorwande, diesen ersten Sieg über das noch zu unterwerfende Königreich zu feiern, und der Altar flimmerte von Lichtern. Ein Dutzend Jesuiten sangen und musizierten während des Hochamtes gleich hundert Nachtigallen, und der dreizehnte hielt die Predigt, in welcher er die erbauliche Vorstellung ausmalte, daß Zambo ein letzter Nachkomme der weisen Königin von Saba sei und nun erst das Heil erworben habe, das diese merkwürdige Vorfahrin im Alten Testamente bei den Juden vergeblich gesucht.

Don Correa selbst war der Taufpate und die vornehmste Frau in Loanda die Patin, als die Handlung nun vollzogen und Zambo mit dem Namen Maria getauft wurde. Sie ließ alles mit sanfter Ergebung über sich ergehen, ohne den Mund zu verziehen; erst als die Taufe vorüber war und sie an den Altar geführt wurde, um sich noch besonders der großen Namenspatronin vorzustellen und das Knie vor ihr zu beugen, richtete sie das Auge schüchtern auf das hölzerne Marienbild, welches nach Vertreibung der ketzerischen Holländer in neuem Glanze aufgerichtet[613] war, die Krone frisch vergoldet, das Gesicht so stark gefirnißt, daß es glänzte wie ein Spiegel und die linke Wange wirklich das daran gedrückte Näschen des Christusbildes abspiegelte. Weil die Wange aber rundlich gewölbt war, so erschien das Näslein darin so groß, daß die Zambo-Maria vermeinte, es wohne ein Mann in der durchsichtigen Frau, der seine Nase herausstreckte, und da sie überhaupt noch nie ein derartiges Bildwerk gesehen, so hielt sie es für einen lebendigen Zauber und fing sich gewaltig an zu fürchten. Zitternd raffte sie sich auf und suchte zu entfliehen. Sie fand aber wegen der vielen Umstehenden keinen Ausweg und flüchtete an die Seite des Don Correa, in welchem sie ihren Beschützer sah, und deutete mit der Hand nach dem leuchtenden goldenen Weiblein, in welchem ein Geist stecke, der größer sei als es selbst. Alles drängte sich herzu, um zu sehen und zu hören, was sich mit der neuen Christin begebe, und man suchte sich gegenseitig verständlich zu machen, was sie gesagt habe.

Auf einmal ertönte die laute Stimme eines der Priester, der rief: ›Wunder! Wunder! Ein großes Heil ist geschehen! Der Herr ist eingekehrt in seine irdische Wohnung, in sein liebliches Pavillon und Sommerhäuschen! Er will die erste Heidin sehen, die wir hier getauft haben!‹

Alles blickte starren Auges auf das Altarbild, auf welches die Zambo gedeutet hatte, und bald rief hier, bald dort einer aus der Menge: ›Ich seh es auch! Ich seh es auch!‹ ohne daß jemand wußte, was eigentlich zu sehen sei. Die Jesuiten, schnell gefaßt, die günstige Gelegenheit zu packen, schlugen alle weiteren Erörterungen mit einem mächtigen Tedeum nieder, das sie anstimmten und in welches alles Volk einfiel. Dann ergriffen sie die Neugetaufte und führten sie mit Kreuz und Fahne in Prozession in der Kirche und um die Kirche herum, unter geschwungenen Räucherfässern und fortwährend ihr ›Ora pro nobis‹ singend. Immer mehr Volk lief herbei, und in kurzer Zeit war sie ihrem Herrn und Beschützer abhanden gekommen und unsichtbar[614] geworden; denn man schleppte sie auch noch in den Straßen herum und in verschiedene Häuser hinein, wo man sich an ihrem Anblicke erbauen wollte.

Endlich ging Don Correa, sie zu suchen, und holte sie aus dem dicksten Haufen Leute heraus, wo sie sich ersichtlich voll Furcht und Angst befand, da sie gar nicht wußte, was alles zu bedeuten habe, und zu glauben begann, sie solle jenem kleinen glänzenden Weiblein zum Opfer gebracht, das heißt getötet werden; denn sie hatte in den schwarzen Königreichen gesehen, daß zum Opfern bestimmte Menschen so umhergeführt wurden. Sie klammerte sich daher an Correas Arm, sobald er sie erreichte und ihre Hand nahm. Die Jesuiten waren jedoch nicht willens, auf ihre Eroberung so leicht zu verzichten, indem sie behaupteten, Zambo-Maria müsse dem Himmel geweiht werden und in der Hut der Kirche bleiben. Er werde das Nötige schon besorgen, rief der mächtige Befehlshaber; zunächst sei die Person noch sein Eigentum und sein Patenkind, das jetzt einem kleinen Taufschmaus beiwohnen und einige Geschenke empfangen müsse. Dessenungeachtet murrte und sträubte sich die Menge, das Wunder fahrenzulassen, und es bedurfte des entschlossenen Auftretens Correas, das zitternde Weib frei zu machen. Er ließ sie, von seinem Pagen begleitet, vorangehen und schritt mit einigen seiner Kriegsleute hinterdrein. So begaben sie sich nach einem kleinen Landhause, das er in Loanda bewohnte; die Frau Patin war inzwischen mit ihrer Begleitung schon dort angekommen, da sie schon früher aus dem Gewühle entflohen war, und die nicht zahlreiche Gesellschaft nahm an dem gedeckten Tische Platz, nachdem der in Unordnung geratene Anzug des Täuflings von den anwesenden Frauen wiederhergestellt worden.

Zambo saß zwischen der Patin und ihrer bisherigen Pflegerin. Sie war mit einem weißen Schleier und einem mit roten Rosen durchflochtenen Myrtenkranze geschmückt, wodurch das helldunkle Gesicht und der von goldenem Kettchen umgebene Hals eine Wirkung von ungewöhnlichem Reize machten.[615]

Don Correa, der ihr gegenübersaß, mußte sich etwas zusammennehmen, sie nicht zu oft anzusehen, nicht nur der anwesenden Frauen, sondern auch des Geistlichen wegen, der sie getauft hatte und ebenfalls zugegen war. Obgleich die braune Marie schon einigermaßen an das abendländische Tischgeräte gewöhnt war, vermochte sie doch nicht zu essen; denn der Wechsel der Eindrücke, die sie so rasch nacheinander empfangen, bedrückte ihr Herz. Sie glaubte sich wohl der Gefahr entzogen und fühlte auch, obschon sie nicht ein Wort der Tischgespräche verstand, man rede freundlich von ihr; doch ihre neue Lage, Umgebung und Zukunft erschienen ihr so gänzlich fremd und unbekannt, daß die Reglosigkeit ihrer Seele eher zu- als abnahm. Erst als Don Correa eigenhändig einen Teller mit süßen Früchten und portugiesischem Backwerke füllte und ihr denselben hinüberreichte, fing sie gehorsam und ehrfürchtig an zu naschen und aß den Teller tröstlich leer. ›Ei seht,‹ sagten die Frauen, ›wie gut sie dem gütigen Herrn zu gehorchen versteht! Wahrhaftig, Seine Gnaden haben eine Eroberung gemacht!‹

Als nun alles über den unversehens leer gewordenen Teller lachte, schaute Maria verwundert um sich und lachte nun auch. Noch niemand hatte sie lachen sehen, und alle waren erstaunt über den Liebreiz, welcher sich wie aus dem Himmel geholt so unerwartet über die fremdartigen Gesichtszüge verbreitete und ebenso schnell wieder verschwand, als sie beschämt die Augen niederschlug.

Unterdessen war die Dämmerung hereingebrochen, und die Gesellschaft erging sich nach aufgehobener Tafel noch einige Zeit im Freien, um die wohltuende Nachtluft zu genießen, welche Meer und Land balsamisch kühlend umfloß. Über den Gesprächen der zerstreut auf und nieder gehenden Leute blieb die Zambo oder Maria unbeachtet, wie es so zu geschehen pflegt, nachdem der Mensch sein bescheidenes Teil Aufmerksamkeit erregt hat. Sie stand abseits unter einer Gruppe hoher Palmenbäume, an einen der Stämme geschmiegt, und blickte unverwandt[616] nach Westen, wo die Sichel des untergehenden Mondes über dem Meere glänzte, und zwar so stark, daß die Palmen ihren Schatten warfen. Die äußerste Kante des großen goldenen Gestirnes schimmerte noch extra im fernen Sonnenlicht gleich einem blitzenden schmalen Ringe, während Zambos scharfes Auge zugleich die nach dem Innern des Ringes hin allmählich verschwimmenden Gebilde wahrnahm, die von dem Lichte schwächer getroffen, ihr aber vertraut waren. Stets aber hing das Auge wieder an dem blitzenden Ringe. Es war die letzte Überlieferung eines wahrscheinlich schon seit tausend Jahren untergegangenen Kultus, welche in dem Mädchen von der alten Heimat oder der toten Mutter her noch dämmerte; vielleicht wendete sie sich, ohne es zu wissen, noch einmal der verschollenen Selene zu, ehe sie der goldenen Göttin folgte, an deren Altar sie heute gestanden, kurz, sie streckte wie um Schutz flehend die Hand nach dem Gestirn aus.

Da faßte jemand sänftlich diese Hand; es war Don Correa, der vorsichtig an sie herangetreten und ihr dieselbe Hand auf den Mund legte, zum Zeichen, daß sie schweigen solle. Dann streifte er einen schimmernden Ring an ihren Finger und küßte sie schnell auf den Mund, worauf er ebenso ungesehen hinwegschritt, als er gekommen war. Bald nachher ging die kleine Gesellschaft auseinander, und Zambo kehrte mit ihrer Beschützerin in deren Behausung zurück.

Am nächsten Tage schon ließ der Admiral zwei seiner Schiffe unter Segel gehen, die er nicht mehr brauchte, und sandte sie mit Depeschen, das eine nach Brasilien, das andere nach Portugal. Auf demjenigen, das nach Brasilien ging, hatte er in der Frühe bereits die Zambo nebst einer Dienerin untergebracht und dem Befehlshaber auf die Seele gebunden. Die Schwester seiner längst verstorbenen Mutter lebte in Janeiro als Äbtissin eines Konventes von Dominikanerinnen. Dieser anvertraute er die Zambo mit einem Briefe, worin er die vornehme Klosterfrau bat, das getaufte Heidenkind in den klösterlichen Schutz aufzunehmen,[617] mit christlicher Sitte und guter Lebensart bekannt zu machen und es aber für die Rückkehr in die Welt bereitzuhalten, alles unter Zusicherung schuldiger Dankbarkeit und gewünschter Gegendienste.

Die Abfahrt der Schiffe war freilich schon früher bestimmt gewesen; die Einschiffung der Zambo aber hatte er ganz plötzlich und rasch betrieben, und als die Jesuiten ihre Spekulationen auf die Wunderperson an diesem Tage weiter ausarbeiten und vor allem nur die Visionärin in Sicherheit bringen wollten, fuhren die Schiffe längst außer Sicht, und der zukünftige Wallfahrtsort an der Westküste des Weltteils verwandelte sich einstweilen in ein Luftschloß und ist es auch geblieben.

Zambo-Maria selbst wußte am wenigsten, was mit ihr vorging. Als der Admiral seine letzten Anordnungen auf dem Schiffe getroffen und dasselbe verließ, hatte er sich zum Abschiede nicht länger bei ihr aufgehalten als bei andern Nebenpersonen und kaum ihre schmale braune Hand einen Augenblick in die seine genommen und gestreichelt, indem er seinem guten Taufpatchen, daß es jeder hören konnte, ein paar gewöhnliche Worte der Aufmunterung sagte, dann aber sich abwendete und nicht mehr umsah. Das Naturkind schien aber die Hauptsache schon soweit zu verstehen, daß sie die paar leichten Liebkosungen, die sie von ihm erfahren, sowie das Geschenk des Ringes sorgfältig bei sich behielt, obschon die Frauenspersonen bereits das eine und andere Wort mit ihr austauschen konnten und sie schon auf dem Schiffe ein weniges Portugiesisch plaudern lernte.

In der Zeit waren auch die Unterhandlungen mit dem Königreich von Angola zu Ende geführt und die Fürstin, wie gesagt, mit ihren Leuten abgezogen. Die Schlauheit und Beredsamkeit der schwarzen Diplomatin konnte nicht hindern, daß ihr Bruder doch als Vasall der Krone Portugals betrachtet und schließlich Don Correa zum Regenten in Angola ernannt wurde. Er regierte das Königreich mehrere Jahre.[618]

Mit Ablauf des ersten Jahres aber fuhr er nach Rio de Janeiro hinüber, um das Kleinod heimzuholen, das er dort aufgehoben wußte, und Hochzeit zu halten. Zur Belohnung für seine Taten hatte der König unter anderm seinem Wappen zwei Negerkönige mit goldenen Kronen als Schildhalter beigegeben. Diese Figuren widmete er der zukünftigen Gattin als Zierat, indem er sie auf Geräte, Schmuck und Tapezerei, die er in den europäischen Fabriken bestellte, überall anbringen ließ. Noch auf dem Schiffe, als es in den Hafen von Rio de Janeiro einlief, entwarf er in Gedanken ein Gemälde, das er bestellen wollte, auf welchem Zambo-Maria in der Tracht einer Königin von Saba getauft wurde und die zwei Mohrenkönige das Taufbecken hielten. Als er aber das Kloster der Dominikanerinnen betrat und im Sprechzimmer stand, um seine Frau Tante, die Äbtissin, nach dem jungen Weibe zu fragen, sagte ihm die nach der Begrüßung mit trockenen Worten, die braune Person sei vor kurzen Tagen fortgelaufen und verschwunden.

Don Correa erblaßte und stand wie vom Blitze getroffen. Der erste Gedanke sodann war nicht etwa ein Fluch auf die Entflohene, sondern auf die eigene Torheit. Warum hast du die arme Kreatur nicht bei dir behalten, sagte er sich, und gleich geheiratet, wie sie war! Jetzt wird sie zugrunde gehen!

Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermutung hege, was sie zur Flucht bewogen und wo sie sich hingewendet habe? Jene verneinte alles und meinte, der Admiral möge, wenn so viel an dem Weibe gelegen sei, sie jetzt selbst aufsuchen lassen, wozu er mehr Macht und Mittel besitze als sie. Erst jetzt ging er in sein altes Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten gedacht hatte. Er fand schon manche Kiste mit angekommenen Sachen vor; aber statt sie zu öffnen, sandte er nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Verschwundenen zu suchen, und machte sich selber auf den Weg, voll Erbarmen mit ihrer Ratlosigkeit. Auch war die anfängliche Liebeslaune, die ihn beim ersten Anblick nach so langem Unterbruche befallen, seither zu[619] einer inneren Neigung erwachsen, zu einem tiefern Bedürfnisse, dieser Menschenseele außerhalb des Weltgeräusches so recht für sich gut zu sein, und er fragte sich, als er fruchtlos nach ihr ausschaute, ob er sich mit seinen äußerlichen und luxuriösen Anstalten und Bestellungen nicht gegen die Einfachheit des unschuldigen Wesens versündigt und es zur Strafe dafür nun verloren habe. Er erinnerte sich, wenn der Ausdruck bei einem solchen Herrn und Kriegsmanne überhaupt angebracht ist, schmerzlich des pomphaften Empfanges, den er dem bösen Weibe von Cercal einst bereitet, und welch trauriges Ende jene glänzenden Vorbereitungen genommen.

Von dem Verlangen getrieben, über das Wesen und Leben der Zambo im Kloster Näheres zu erfahren, eilte er wieder hin und befragte die Stiftsvorsteherin eifrig und sogar mit einer gewissen Heftigkeit, die über den Rang und Stand des Mannes wie über die Tragweite der Sache fast hinauszugehen schien. Die alte Dame mit ihrem goldenen Kreuz auf der Brust sah ihn, aus wohlgenährten Augenlidern blinzelnd aufmerksam an und erzählte dann sehr gelassen nur Gutes von der Negerin, wie sie die Maria nannte, trotzdem sie offenbar keine war. Sie habe die portugiesische Sprache schon ziemlich brauchen gelernt, sich still und gehorsam verhalten und gern mit den weiblichen Arbeiten beschäftigt.

›Welche Arbeiten?‹ fragte Don Correa, der wußte, daß die Damen in diesem Stifte so wenig etwas taten, was man arbeiten nennen konnte, als diejenigen außerhalb desselben. Er fürchtete daher, das Mädchen möchte zu niedrigen Arbeiten, wo nicht zum Sklavendienste gebraucht worden und vielleicht deshalb entflohen sein. Allein die Äbtissin fuhr ausweichend fort, allerlei Vorteilhaftes von dem verschwundenen Kinde zu bekunden, und dem Herrn wurde es immer bitterer und fast traurig zu Mut, als er das alles anhörte. Die Alte aber schloß mit den Worten: ›Item, man hätte nicht gedacht, daß sie so schnöde weglaufen würde!‹[620]

Mit verworrenen Gedanken ging er endlich wieder in seine Wohnung, um sich nur etwas zu sammeln. Denn er, der sonst in Entschluß und Tat nie zu zögern pflegte, sah sich diesem Geheimnisse gegenüber durchaus ohnmächtig und unentschlossen. Die Dienstverhältnisse erlaubten ihm nicht, lange in Rio de Janeiro zu verweilen; verließ er aber die Stadt und das Land, so verlor er jede Hoffnung, die Zambo doch noch zu finden, und der Mann, der Land und Leute zu erobern gewohnt war, sah sich außer Stand, das unschuldigste und bescheidenste Heiratsprojekt auszuführen.

Als er in solchen düsteren Betrachtungen das Haus erreicht hatte und eben in seinem Kabinette Degen und Handschuhe auf den Tisch warf, kam sein Page Luis vorsichtig hereingeschlüpft, ihm eine merkwürdige Nachricht zu bringen. Es war ein vierzehnjähriger aufgeweckter Knabe und seinem Herrn so ergeben und vertraut, daß dieser ihn für sicherer und zuverlässiger hielt als alle andern Diener und ihm auch sonst wegen seines anmutigen Wesens herzlich wohlwollte. Luis hinterbrachte also nun, als er so von ungefähr in der Straße geschlendert sei, habe ihn die Frau des Nachbarn, eines alten französischen Schiffsherrn, die für eine heimliche Protestantin gelte, herbeigewinkt und ihm hinter der Haustür zugeflüstert, er solle seinem Don sagen, sie könne ihm den Ort nennen, wo Se. Exzellenz finde, was sie suche; man möge nur, sobald es dunkel sei, einen Augenblick in die Veranda hinter ihrem Hause kommen. Don Correa verfehlte den Gang nicht und vernahm von der munteren Alten, nachdem er ihr Verschwiegenheit und Schutz zugesichert, daß seine Zambo vor unlanger Zeit auf einem nach Marseille gehenden Schiffe ihres Mannes in ein Kloster zu Cadix gebracht worden sei. Überdies wußte sie, daß es sich darum handle, das Mädchen zu einer Art von Wundertäterin und Heiligen zu machen, daß es widerstanden hatte, mit Blutrünstigkeiten Stirn und Hände verzieren zu lassen und eine heilige Blutschwitzerin zu werden; ja, der Alten war sogar bekannt, daß dem bräunlichen[621] Frauenzimmer ein Verlobungsring vom Finger gestreift und weggenommen worden sei. Einen Teil dieser Dinge hatte sie auf ganz geheimem Wege durch eine Flamländerin erfahren, die in dem Kloster als Bäckerin angestellt war und die Alte bisweilen besuchte.

Don Correa erkannte sogleich die Wahrheit der Angaben und dankte der Frau dafür, sie bittend, auch ihrerseits die Sache geheimzuhalten. Ein stiller Grimm erfüllte ihn trotz seiner katholischen Gesinnung gegen die Jesuiten, die offenbar von Afrika aus über seinen Kopf hinweg die Hand im Spiele hatten, und nicht minder erwachte sein Zorn gegen die verlogene Prälatin, seine Muhme. Diese vermutete in der Tat nicht mit Unrecht, daß der Neffe wieder einmal einen wunderlichen Heiratsstreich im Schilde führe, und hatte um so größere Ursache, ihn daran hindern zu helfen, als sie längst mit einer rühmlichen Verbindung für ihn beschäftigt war und nur auf den Augenblick lauerte.

Der Admiral und Regent oder Vizekönig von Angola legte sich noch in der gleichen Nacht den Vorwand zurecht, die Reise nach Europa auszudehnen und am Hofe zu Lissabon über den Stand und die Zukunft der afrikanischen Angelegenheiten persönlich zu berichten, und am nächsten Tage ging er mit zwei Schiffen ostwärts unter Segel, ohne das Ziel der Fahrt bekanntzumachen. Mit großer Ungeduld sah er die Tage und Wochen vergehen, obgleich er mit dem günstigsten Wind und Wetter segelte, und als er endlich in den Golf von Cadix abbiegen konnte, fand er die Bai und den Hafen durch Wachtschiffe verschlossen, weil die Pest in der Stadt hauste.

Dieser neue Unstern steigerte seinen Unmut und die Besorgnis für die arme Zambo aufs höchste, zum Glück aber auch seine Besonnenheit. Da er wegen der auf ihm lastenden Verantwortung sowie bei der sicheren Nutzlosigkeit überhaupt nicht daran denken konnte, seine Person auf spanischem Boden auszusetzen, beschloß er, vorerst die Fahrt nach Lissabon zu beendigen[622] und nur den Knaben Luis auf Kundschaft zu schicken. Er vertraute demselben, der die Zambo kannte und von ihr gekannt war, sein Geheimnis ganz an, ließ ihn das Gewand eines zerlumpten Schifferjungen anziehen und versah ihn reichlich mit Geld, worauf er ihn südlich von der Bucht bei der St. Petersinsel in der Dunkelheit der Nacht an den Strand bringen ließ. Mit aller Verwegenheit und Begeisterung eines romantischen Knaben und der Freiheit froh, verlor sich der kluge Bursche landeinwärts, indessen Don Correa bald nachher auf das Kap St. Vincent lossteuerte, um den Weg nach Lissabon vollends zurückzulegen. Von dort aus dachte er dann mit oder ohne Nachricht des Knaben weiter vorzugehen.

Es dauerte keinen Tag, so trieb sich Luis mit einer Schachtel voll indianischer Schnurrpfeifereien in der Stadt herum und bot überall seinen Kram zum Verkaufe an, wurde aber allenthalben weitergeschickt, hier mit dem Unwillen derer, welche Pestkranke oder schon Tote hatten, dort mit dem Gelächter und den Flüchen des gesund gebliebenen Pöbels, der sich zechend, tanzend und singend in Schenken und auf öffentlichen Plätzen herumtrieb. Luis ließ sich aber nichts anfechten, sondern durchwanderte die Stadt der Kreuz und Quere, bis er auf ein Nonnenkloster stieß, welches dem Dominikanerorden angehörte. Es bestand aus einem Haufen alter Gebäude und hoher Mauern, die da und dort mit sarazenischen Fensternlöchern durchbrochen waren. Natürlich war ihm der Eintritt so verschlossen wie jedem andern Mannsbilde; nur in die Kirche konnte er eintreten und bemerkte dort, daß der Gottesdienst ungeregelt abgehalten wurde und das Innere des Klosters so voll Unruhe war wie die übrige Stadt.

In der Herberge, die er aufgesucht, kaufte er von der Tochter eines plötzlich verstorbenen Bauers einen kleinen Esel und von einem Verkäufer alter Kleider einen Weiberrock und ein zerrissenes Kopftuch; dann belud er den Esel mit einem Korbe voll frischer Orangen, schwang sich selbst, als arme Bauerndirne gekleidet, auf das Kreuz des Esels und ritt gemächlich in der[623] Richtung des Klosters davon. In diesem Aufzuge gelang es ihm, in einen Vorhof einzudringen, dessen Türe sich just geöffnet hatte, um einen Arzt einzulassen; und da drinnen Verwirrung und Ratlosigkeit herrschte, indem die Äbtissin soeben von der Krankheit ergriffen worden, so trieb die angebliche Orangendirne ihren Esel unbeachtet bis in einen Garten, wo einige Klosterfrauen ängstlich spazierengingen. Da fing er an, seine Früchte auszurufen und einen solchen Lärm zu machen als ein kreischendes Landmädchen, daß bald mehrere Nonnen herbeikamen und um den Esel herumstanden. Die eine und andere kaufte ein paar Orangen, die der schlaue Knabe beinahe um nichts hergab, der schlechten und unglücklichen Zeiten wegen, und der geringe Preis verlockte die guten Frauen, die Gelegenheit zu benutzen und sich die kleine Erfrischung zu verschaffen. Einige suchten sich unter den goldenen Kugeln einen Vorrat aus, indem sie dieselben in der Hand wogen und an die Nase brachten, und inzwischen ließ Luis seine Augen verstohlen herumgehen, ob er nirgends die Zambo erblicken könne. Und das Glück wollte, daß es geschah. In einiger Höhe schauten hinter einem hölzernen Gitter zwei Frauengesichter herunter, wovon das eine, noch im weltlichen Haarschmuck und ohne Schleier, niemand anderm als der dunkeln Zambo angehörte.

Kaum hatte Luis sie erkannt, so trieb er unvermerkt den Esel näher, bis das graue Tierchen unter dem Fenster stand; und nun fing jener aus Leibeskräften an zu rufen: ›Kauft, hochwürdige Damen! Kauft frische Orangen für den Durst! Sie sind gesund, wie die Ärzte sagen, und preiswürdig! Für ein halbes Soundsoviel und ein viertel Nichts dazu kann ich drei Stücke geben! Kauft, gnädige Frauen, und erlabt euch, so vergeßt ihr die Gefahr! Das Neueste ist, daß niemand in den Hafen von Cadix einfahren darf, der aus der Ferne kommt. Nehmt die Orangen geschenkt, fromme Frau Mutter! Gestern mußte der Vizekönig von Angola, der berühmte und prächtige Don Salvador Correa, der tapfere Erstürmer so vieler Festungen, unverrichteterdinge[624] aus unserm Gewässer abziehen. Ich sah seine Schiffe; er sei nach Lissabon gefahren, heißt es, und werde einige Zeit sich dort aufhalten! Er soll ein gar schöner und stolzer Herr sein, sagt man; aber solche Leute sind oftmals die allerleutseligsten mit denen, die ihnen gefallen! Kauft mir die Orangen ab, so kann ich nach Hause!‹

Alles das rief der kecke Bursche so vernehmlich als möglich, mit dem Gesichte so gewendet, daß die Zambo ihn sehen und hören mußte. Kaum hatte er auch den Namen Don Correa in die Lüfte gesendet, so horchte sie auf und verwandte kein Auge mehr von ihm, bis sie plötzlich sein Gesicht erkannte und ein Freudestrahl in ihren Augen aufleuchtete.

In diesem Momente trat aber eine lange Priorin oder Chormeisterin oder dergleichen hervor, die sagte: ›Was schreit und klatscht denn die Dirne? Wie kommt sie in den Garten herein, und was weiß und hat sie von einem Vizekönig zu plaudern?‹

Und sie schritt noch näher heran und streckte die dürre Hand, an welcher ein Paternoster hing, nach dem Rockärmel des verkleideten Pagen aus, der aber inzwischen schnell zu bewerkstelligen wußte, daß der Esel hinten ausschlug, der Korb auf den Boden fiel und die Orangen umherrollten. Während ein Teil der Nonnen nach den Orangen lief, der andere vor dem ausschlagenden Esel floh, machte Luis mit aufgeschürztem Rocke, daß er aus den Klosterräumen hinauskam, und rannte mit langen Schritten durch lauter Nebengassen davon. In der Herberge angekommen, wechselte er unbemerkt die Kleider, bezahlte den Wirt mit erlösten Kupfermünzen und verstelltem Feilschen, ging unverweilt aus der Stadt und wanderte, bis er den nächsten Hafenort erreichte, wo er eine Fahrgelegenheit nach Lissabon fand.

So glücklich, wie wenn er den schönsten Vogel im Garn gefangen hätte, überbrachte er seinem Herrn die Nachricht von der wiedergefundenen Zambo-Maria, und sein fröhliches Gesicht hellte die düsteren Züge desselben auf. Don Correa fühlte[625] sich von einem Teile seiner Sorgen befreit. Es bestand kein Zweifel, daß die Nonnen sein nicht zu bestreitendes Eigentum herausgeben mußten; damit aber eine nochmalige geheime Wegschleppung unmöglich wurde, war es nötig, sie mit einem Regierungsbefehl zu überraschen, der ihnen keine Zeit zu weiteren Umschweifen ließ. Correa war der Mann, einen solchen Befehl auszuwirken; allein dazu erforderte es einige Zeit, und während derselben konnte die Zambo zehnmal der Pest zum Opfer fallen. Und hinwieder verhinderten wahrscheinlich doch die Schrecken der tödlichen Seuche die Nonnen und Pfaffen, dem verlassenen Mädchen den Kopf zu scheren und den Schleier aufzuzwingen und den übrigen Hokuspokus aufzuführen, da sie zunächst für sich zu sorgen hatten. Genug, die Sorgen kehrten über diesen Widersprüchen der Sachlage mit aller Schwere zurück, und Don Correa schlug sich abermals vor die Stirne aus Zorn über sich selbst, daß er die Maria nicht gleichzeitig mit der Taufe zur Gemahlin erhoben und bei sich behalten habe. Dennoch versäumte er nicht, für die Ausstellung eines unzweideutigen Befehles bei der spanischen Oberbehörde die nötigen Schritte zu tun, worin er von seiner Regierung im stillen gehörig unterstützt wurde. Allein es verging eine Woche nach der andern, ehe das Dekret da war, und damit verfloß auch die Zeit, welche er bei allem Ansehen, dessen er genoß, in Europa zubringen konnte.

Eines Abends spät ging er in seinem Gemache nachdenklich auf und ab und überlegte sich, ob es seiner würdig sei, in dieser Weiberfrage so viel Wesens zu machen und so viel Ärgernis zu dulden, und ob das Bedürfnis und Projekt, sich ein so stilles weiches Ruhebett in der Häuslichkeit zu bereiten, überhaupt vor einem höhern Urteile zu rechtfertigen sei. Der Page Luis saß an dem Tische in der Mitte des Zimmers, über eine große Seekarte gebückt und halb in Schlummer versunken; denn der Admiral gab ihm selber Unterricht in der Schiffahrtskenntnis und prüfte ihn zuweilen, was er auch diesen Abend getan hatte,[626] bis er durch den Hauptgegenstand, der ihn belästigte, selbst zerstreut wurde und den Knaben außer acht ließ. Die Kerzen des silbernen Kandelabers, der die Seekarte mit ihren unbeholfenen Gebilden beleuchtete, waren zur Hälfte herabgebrannt, und die Stutzuhr auf dem Kamine zeigte die zehnte und eine halbe Stunde.

Ich bin nun sechsunddreißig Jahre alt, sagte er bei sich, und dürfte die Fackel des Eros füglich auslöschen! Wer Krieg führen und befehlen soll, muß reinen Tisch im Herzen und kühles Blut haben. Das Haus ist freilich zu erhalten; allein vielleicht wäre es am besten, dem Willen der Frau Muhme zu folgen und eine gleichgültige Dame ins Haus zu setzen, die den Staat macht und uns kalt läßt! Und wäre es am Ende für die arme Zambo nicht auch besser, wenn sie vor den Stürmen des Lebens geschützt und zu einem frommen Nönnchen gemacht würde?

Hier wurde die Stille der Nacht unterbrochen durch ein schüchternes Zeichen der Hausglocke, die in der weiten Flurhalle des Palastes hing. Ein einziger Anschlag ließ sich vernehmen, welchem ein schwächlicher Nachklang folgte, der im Entstehen abbrach und erstarb. Don Correa achtete nicht darauf und setzte seine Promenade fort. Wie er aber doch alles bemerkte, was vorging, so ward er nach ein paar Minuten inne, daß das Haustor nicht geöffnet wurde, sondern alles still blieb und der Torhüter mithin schlafen oder abwesend sein mußte. Nachdem er erst jetzt ein kleines Weilchen stillgestanden und gehorcht hatte, trat er zu dem schlafenden Knaben, weckte ihn und sagte: ›Es hat jemand auf der Straße geläutet; geh hinunter und laß den Pförtner nachsehen, was es sei!‹

Als der Knabe aufsprang und sofort hinauslaufen wollte, rief der Herr noch: ›Nimm hier den Leuchter mit und komm gleich wieder, so will ich so lange im Dunkeln stehen.‹

Es schien ihm aber doch etwas lange zu dauern; er hörte die schweren Torflügel nach einiger Zeit auf- und zumachen, aber es[627] währte noch Minuten, bis die Schritte des Knaben näher kamen, und er öffnete fast ungeduldig die Zimmertüre, um das vermißte Licht bälder zu sehen und den zögernden Pagen zur Eile zu mahnen. In der linken Hand den Leuchter hoch empor haltend, daß sein hübsches Gesicht hell bestrahlt wurde, führte Luis mit der rechten die Zambo oder Maria herbei, welche von den Füßen bis zum Haupte vom Straßenstaube bedeckt und vor Müdigkeit wankend, ihm folgte.

›Da ist sie von selbst gekommen!‹ rief der Knabe mit triumphierender Freude über das treffliche Abenteuer. Zambo dagegen fiel aus Erschöpfung und Aufregung vor den Admiral hin und umfing mit den Armen seine Füße, während aus den zu ihm aufblickenden Augen große Tränen quollen. In froher Überraschung hob er sie, nun zum zweiten Male, von der Erde auf, und sein Schlafrock von dunklem Sammet wurde vom Staube weiß gefärbt. Gleich dem Vater des verlorenen Sohnes eilte er selbst, die weibliche Dienerschaft aufzujagen und ihr den nächtlichen Ankömmling zu jeglicher Pflege zu übergeben und anzuempfehlen.

Dann erst ließ er sich von dem Pagen mitteilen, wo er die Zambo gefunden. Luis erzählte mit glückseligem Eifer, daß er, ohne den Torwärter zu wecken, vorläufig nur die Klappe des vergitterten Guckfensters geöffnet und hinausgeschaut habe. Da sei eine müde Frauengestalt draußen gestanden, die sich kaum aufrecht gehalten, und als er durch das Gitter das Licht auf sie gerichtet, sei es die gute Zambo gewesen. Nun habe er selbst die Riegel zurückgestoßen, die Pforte aufgetan, und die Frau, die zitternd dagestanden, gleich bei der Hand genommen und hereingezogen zu seinem Hauptvergnügen; denn sie habe ihn erkannt und sei augenscheinlich etwas munterer geworden. Gesprochen hätten sie kein Wort, als er das Tor wieder geschlossen und den Kandelaber vom Boden aufgenommen, wohin er ihn gestellt, und auch als er sie die Treppe hinangeleitet, habe er nur ein paarmal lachend nach ihr umgeschaut, um ihr sozusagen im[628] Namen Seiner Gnaden freundlich zuzunicken. Don Correa zahlte dem Knaben seine Ausgaben ohne Verzug mit einem Lächeln gütiger Zufriedenheit zurück und strich ihm das dichte lange Haar aus der Stirne, die es im bewegten Eifer des Burschen bedeckt hatte. Er blieb noch so lange mit ihm wach, bis er die Meldung empfing, die Fremde sei mit allen nötigen Erquickungen versehen zu Bette gebracht worden und in Schlaf versunken. Dann ging er selbst, den Schlaf zu finden, während der Page sich noch in der Küche herumtrieb und den Weibern, die mit gegen die Hüfte gestemmten Armen und offenen Mäulern um ihn herumstanden, über das Ereignis allerlei Schnaken vormachte.

Am nächsten Morgen fühlte sich Zambo so gut erholt und gesund, daß sie vor dem Hausherrn erscheinen und ihre merkwürdige Wanderfahrt erzählen konnte. Die Pest, welche damals übrigens außer in Cadix nur an einem einzigen Hafenplatze aufgetreten, hatte durch ein paar rasch erfolgte Erkrankungen und den Tod der Vorsteherin das Kloster so erschreckt und verwirrt, daß während einiger Tage weder Hausordnung noch Ordensregel geachtet wurde, die Pforten auf- und zugingen und jeder tat, was er wollte. Dieser Zustand verlockte die Afrikanerin desto unwiderstehlicher, die Freiheit zu suchen, um in ihr die Hand ihres Herrn und die rechtmäßige geliebte Unfreiheit wieder zu finden. Sie hatte deutlich verstanden, was der verkleidete Luis gerufen, und es für ein Zeichen genommen, daß sie ihren Gebieter aufsuchen solle. Daher verließ sie in einer Abenddämmerung einfach das Kloster durch eine offenstehende Seitentüre und wanderte die Nacht hindurch um die Meerbucht von Cadix herum und auf der Straße nach Norden, bis sie zur Stadt Sevilla gelangte. Sie trug noch etwas Geld bei sich verborgen, das ihr jetzt zustatten kam, bald aber zu Ende ging, weil sie von den Leuten überall übervorteilt und betrogen wurde, als sie ihre Unerfahrenheit und Unkenntnis bemerkten. Sobald sie aber nichts mehr besaß, erhielt sie das wenige, um das sie aus Hunger[629] bat, um Gottes willen. Von Sevilla aus fing sie an, nach der Stadt Lissabon zu fragen, und ging unablässig in der Himmelsrichtung, die man ihr jeweilig zeigte, über Ebenen und Gebirge und Ströme und Flüsse hinweg, viele Tage, Wochen lang; denn die öfteren Irrgänge verdoppelten die Länge des Weges. Trotz aller Mühsal waltete ein freundlicher Stern über ihrem Haupte, was Don Correa leicht begriff, als er die schuldlose Anmut und ernsten Züge mit neuem Wohlgefallen betrachtete. Sie erreichte endlich die Umgebung der portugiesischen Hauptstadt mit Sonnenuntergang; bis sie nicht mehr zweifeln konnte, daß sie in Lissabon sei, war aber die Nacht schon vorgerückt, und sie fragte nach der Wohnung des Admirals, zu dessen Haushalt sie gehöre, wie sie mit gutem Instinkte aussagte. Eine Scharwache übergab sie der andern, ohne sie zu beleidigen, obgleich den Leuten das Abenteuer ungewöhnlich vorkam. So wurde sie von einem Stadtviertel ins andere mitgeführt und zuletzt einem alten Nachtwächter überlassen, der sie vollends vor den Palast des Admirals brachte, nachdem er aus ihren Worten auf die Wahrheit ihrer Aussage geschlossen hatte. Da solle sie an der Glocke ziehen, riet er, indem er ihr den eisernen Griff zeigte und sie dann stehenließ.

Diese Erzählung trug sie allerdings nicht fließend vor; sie mußte ihr vielmehr stückweise abgefragt werden; dennoch war Don Correa erfreut, die Zambo zum ersten Male in seiner eigenen Sprache zusammenhängend reden zu hören und überdies nicht nur in ihren Worten, sondern auch in den von der Sprache belebten Zügen des dunklen Antlitzes das Licht eines guten Verstandes wahrzunehmen, gleich dem Morgenschimmer, der einen schönen Tag verspricht. Freilich waren diese Züge bewegter als sonst, weil auch sie die erlernte Sprache ihres Beschützers zum ersten Male ihm gegenüber hören ließ und sich lange darauf gefreut hatte.

›Wo hast du den Ring gelassen, den ich dir gegeben?‹ fragte er sie, ihre Hand ergreifend, wie wenn er ihn suchte.[630]

›Verzeih, Herr, man hat mir den Ring genommen!‹ sagte sie mit gensenktem Blicke.

Er trat zu einem schweren Schranke, aus welchem er ein mit Silber eingelegtes glänzendes Stahlköfferchen holte, das er öffnete. Die darin liegenden Schmucksachen und Kleinodien mit einem Rucke durcheinander rüttelnd, bis er einen Frauenring fand, hielt er denselben einen Augenblick gegen das Licht, wie wenn er sich ein letztes Mal den Schritt überlegte, den zu tun sich ihm nochmals die Wahl bot. Als er vor zwölf Jahren ausgezogen war, die erste Frau zu freien, hatte er in der Eile vergessen, den Trauring seiner Mutter mitzunehmen, wie er sich vorgenommen. Jene dunkeln Vorgänge mit ihrer elenden Täuschung traten einen Moment vor seine Seele; doch dünkte ihm der Umstand, daß der unentweihte Ring jetzt im rechten Augenblicke noch zur Hand war, ein günstiges Zeichen, und er steckte ihn der Zambo an den Finger, daran der frühere gesessen.

Das Trauungsfest, welches er ohne Zaudern herbeiführte, machte trotz der verhältnismäßig großen Einfachheit ein allgemeines Aufsehen, obschon kein so schreiendes, wie es heutzutage der Fall sein würde. Selbst der König und die Königin sandten Vertreter mit ihren Glückwünschen, und die Versammlung war eine glänzende, wenn auch nicht sehr zahlreiche. Die Braut durfte sich trotzdem sehen lassen. Zambo war in einen schweren weißen Seidenstoff gekleidet, der in schmale Streifen mit Goldfäden abgenäht worden. Der breite stehende Spitzenkragen, der silberdurchwirkte Schleier und die in das Haar geflochtenen Perlenschnüre, das auf dem freien Teile des Busens liegende Diamantkreuz hoben ihre dunkle oder vielmehr hellbraune Farbe wie etwas Selbstverständliches, ja Einzigmögliches hervor, und ihre angeborene schlanke und gerade Körperhaltung war so edel, daß Don Correa, als ein gelehrter Geistlicher unter den Gästen ihm flüsternd anerbot, einen Stammbaum zu verfassen und ihre Abkunft auf die Königin von Saba zurückzuführen,[631] stolz auf ihre Haltung hinwies und sagte, es sei nicht nötig.

Der fremdartige Reiz der ganzen Erscheinung wurde aber noch erhöht durch die über sie ausgegossene natürliche Demut und den träumerischen Glanz ihrer Augen, welche verrieten, daß sie nicht recht wußte, was mit ihr vorging, da sie von den Nonnen in keiner Weise auf weltliche Dinge vorbereitet worden.

Das erfuhr Don Correa erst auf seinem schönen Admiralschiffe, als er gleich nach der Hochzeit mit der Gemahlin die Rückreise nach Afrika angetreten hatte. Die Donna Maria Correa hielt sich nach wie vor für seine Sklavin, die jede Änderung des Schicksals zu gewärtigen habe und zum Dienen bestimmt sei. Zuerst verdrießlich darüber, daß sie in dieser Beziehung das in Klöstern und unter Geistlichen zugebrachte Jahr gänzlich verloren, machte er sich selbst zu ihrem Lehrer, so gut er das mit seinem seemännischen Wesen vermochte. Bald aber wurden die Stunden, die er über dem Unterricht im einsamen Schiffsgemache mit der Gattin verlebte, zu Stunden der schönsten Erbauung. Denn als er ihr allmählich die Freiheit ihrer Seele begreiflich machte, Ehre und Recht einer christlichen Ehefrau beschrieb und ihr die Pflicht des persönlichen Willens und Beschließens auseinandersetzte, was alles durch Liebe zusammengehalten und verklärt werden müsse, da soll es gar schön anzusehen gewesen sein, wie von Tag zu Tag das Verständnis heller aufging und die junge Frau mit dem Lichte menschlichen Bewußtseins erfüllte. Außerdem hörte sie viele ihr bisher unbekannte Worte, und indem sie dieselben wiederholte und den Sinn sich anzueignen suchte, bereicherte sie zugleich im höchsten Sinne ihre neue Sprache.

Eines Tages, als das Geschwader dem Ziele seiner Fahrt näher kam, erging sich Don Correa mit der Frau auf dem obersten Verdecke und führte sie in den luftigen Pavillon, der über dem Stern des Schiffes errichtet war. Die Zeltdecken schützten hier vor den Sonnenstrahlen und den Blicken des Schiffsvolkes. Sie[632] schauten still auf den unendlichen Ozean hinaus, dessen gleichmäßig schimmernde Wellen in zahllosen Legionen heranrauschten und die Schiffe ruhig weitertrugen.

›Hat das Meer auch eine Seele, und ist es auch frei?‹ fragte die Frau.

›Nein‹, antwortete Don Correa, ›es gehorcht nur dem Schöpfer und den Winden, die sein Atem sind! Nun aber sage mir, Maria, wenn du ehedem deine Freiheit gekannt hättest, würdest du mir auch deine Hand gereicht haben?‹

›Du fragst zu spät‹, erwiderte sie mit nicht unfeinem Lächeln; ›ich bin jetzt dein und kann nicht anders wie das Meer!‹

Da sie aber sah, daß diese Antwort ihn nicht befriedigte und nicht seiner Hoffnung entsprach, blickte sie ihm ernst und hoch aufgerichtet in die Augen und gab ihm mit freier und sicherer Bewegung die rechte Hand.«

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 7, Berlin 1958–1961, S. 577-633.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Sinngedicht
Das Sinngedicht
Das Sinngedicht: Novellen
Das Sinngedicht: Novellen
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 6: Sieben Legenden. Das Sinngedicht. Martin Salander
Sämtliche Werke in sieben Bänden: Band 6: Sieben Legenden. Das Sinngedicht. Martin Salander

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon