Gruß der Sonne

[26] Aus den braunen Schollen

Springt die Saat empor,

Grüne Knospen rollen

Tausendfach hervor.


Und es ruft die Sonne:

Fort den blassen Schein!

Wieder will ich Wonne,

Glut und Leben sein!


Wieder wohlig zittern

Auf dem blauen Meer

Oder zu Gewittern

Führen das Wolkenheer!


In den Frühlingsregen

Sieben Farben streun

Und auf Weg und Stegen

Meinen goldnen Schein!


Ruhn am Felsenhange,

Wo der Adler minnt,

Auf der Menschenwange,

Wo die Träne rinnt!


Dringen in der Herzen

Kalte Finsternis,

Blenden alle Schmerzen

Aus dem tiefsten Riß!


Bringt – ich bin die Sonnen! –

An das Kerkertor,[27]

Was ihr habt gesponnen

Winterlang, hervor!


Alle finstern Hütten

Sollen Mann und Maus

Auf die Aue schütten,

An mein Licht heraus!


Mit all euern Schätzen

Lagert euch herum,

Wendet eure Fetzen

Vor mir um und um!


Daß durch jeden Schaden

Leuchten ich und dann

Mit dem goldnen Faden

Ihn verweben kann!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 26-28.
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