Regensommer

[48] Nasser Staub auf allen Wegen!

Dorn und Distel hängt voll Regen,

Und der Bach schreit wie ein Kind!

Nirgends blüht ein Regenbogen!

Ach, die Sonn ist weggezogen

Und der Himmel taub und blind!


Traurig ruhn des Waldes Lieder,

Alle Saat liegt siech darnieder,

Fröstelnd schläft der Wachtel Brut.

Jahreshoffnung – fahler Schimmer!

Mit den Menschen steht's noch schlimmer:

Kalt und träge schleicht ihr Blut!


Krankes Weib am Findelsteine

Mit dem Säugling, weine! weine

Trostlos oder hoffnungsvoll:

Nicht im Feld und auf den Bäumen –

In den Herzen muß es keimen,

Wenn es besser werden soll!


Fleh zu Gott, der ja die Saaten

Und das Menschenherz beraten,

Bete heiß und immerdar,

Daß er, unsre Not zu wenden,

Wolle Licht und Wärme senden

Und ein gutes Menschenjahr!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 48-49.
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