Trübes Wetter

[54] Es ist ein stiller Regentag,

So weich, so ernst, und doch so klar,

Wo durch den Dämmer brechen mag

Die Sonne weiß und sonderbar.


Ein wunderliches Zwielicht spielt

Beschaulich über Berg und Tal;

Natur, halb warm und halb verkühlt,

Sie lächelt noch und weint zumal.


Die Hoffnung, das Verlorensein

Sind gleicher Stärke in mir wach;

Die Lebenslust, die Todespein,

Sie ziehn auf meinem Herzen Schach.
[54]

Ich aber, mein bewußtes Ich,

Beschau das Spiel in stiller Ruh,

Und meine Seele rüstet sich

Zum Kampfe mit dem Schicksal zu.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 54-55.
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