2. Stilleben

[157] Durch Bäume dringt ein leiser Ton,

Die Fluten hört man rauschen schon,

Da zieht er her die breite Bahn,

Ein altes Städtlein hängt daran


Mit Türmen, Linden, Burg und Tor,

Mit Rathaus, Markt und Kirchenchor;

So schwimmt denn auf dem grünen Rhein

Der goldne Nachmittag herein.


Im Erkerhäuschen den Dechant

Sieht man, den Römer in der Hand,

Und über ihm sehr stille steht

Das Fähnlein, da kein Lüftchen geht.


Wie still! Nur auf der Klosterau

Keift fernhin eine alte Frau;

Im kühlen Schatten nebendran

Dumpf donnert's auf der Kegelbahn.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 157-158.
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