Waldfrevel

[346] Seht den Schuft am Waldessaum

Mit gewandten Sprüngen fliegend,

Einen jungen Eschenbaum

Auf den breiten Schultern wiegend!

Hat die Axt, die er gestohlen,

Vornen in den Stamm geschwungen,

Weit noch hinter seinen Sohlen

Kommt der Wipfel nachgesprungen.

Wie er heimlich lacht und singt,

Daß das Herz im Leibe springt!


Und die Dirne kommt daher

Mit geschnittnen Weidenruten;[346]

Von der Last, die drückend schwer,

Stehn die Wangen ihr in Gluten.

Und der Bursche wirft die schwere

Bürde beider in den Graben;

Beide springen nach, als wäre

Dort ein Nest voll Glück zu haben.


Wo ein kleiner Freudenquell

Tief im Erlengrunde fließet

Und die Silberadern hell

Durch das samtne Moos ergießet,

Wirft der schlanke Dieb sich nieder

Mit der Dirn im braunen Arm,

Löst ihr hastig Tuch und Mieder,

Und er flüstert liebewarm,

Daß sein brennend Herz erklingt,

Wie die Nuß im Feuer singt:


»Schätzchen, o du kommst mir just,

Daß ich meine Schätze grabe,

Wieder einmal meine Lust

Am verborgnen Reichtum habe!

Zeig mir der Korallen Schein

An dem frischen roten Munde,

Gib mir schnell mein Elfenbein,

All das feingedrehte runde!«

Wie der Has im Kohle springt

Ihm das Herz und singt und klingt!


»Laß mich wägen all mein Gold,

Deines Haares schwere Güsse!

Laß mich zählen meinen Sold,

Zähle mir ein Hundert Küsse

Blank und bar auf meine Lippen,[347]

Weil uns kein Verräter lauschet!

Laß mich von dem Weine nippen,

Der mich armen Schelm berauschet!


Nun verhüll die Herrlichkeit

Mit den Lumpen, mit den Fetzen,

Daß kein Auge ungeweiht

Spähen kann nach meinen Schätzen!

Dieses Tuch um deine Haare

Dreimal, viermal sorglich winde,

Daß die goldne Schimmerware

Ja kein Strahl der Sonne finde!«


Gleich ist drauf die Dirn davon

Durch den dunklen Wald gesprungen;

Wieder hat der Bursche schon

Seinen Eschenbaum geschwungen.

Wie die Beine rasch ihn tragen

Mit dem langen schwanken Raube!

Einen grünen Siegeswagen,

Schleift die Kron er nach im Staube.

Wie die Grill im Grase springt

Ihm das Herz und singt und klingt!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 346-348.
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