Aurelie

[285] Wenn so goldrötlich dunkel

Mit schillerndem Gefunkel

Dein Haar in Ruhe liegt,

In Flechten reich gebunden,

Von Purpurband umwunden

Sich an die Wangen schmiegt:

Dann ist es uns der Ordnung Bild

Und streng gezogner Schranken,

Und wir ergehn uns friedlich mild

In zierlichen Gedanken.


Doch, wenn in ungebundner

Pracht es sich aufgetan,

Dann haucht ein unumwundner

Und wilder Geist uns an,

Wie wenn von Bergeshöhen

Die Feuerzeichen wehen

Und glühn von Tal zu Tal!

Die dunkle Flamme flüstert,

Die rote Seide knistert,

Nun ist dein Haar ein lohes

Und leidenschaftlich frohes

Hochwehendes Streitsignal!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 285.
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