Erster Schnee

[244] Wie nun alles stirbt und endet

Und das letzte Rosenblatt

Müd sich an die Erde wendet,

In die warme Ruhestatt:

So auch unser Tun und Lassen,

Was uns heiß und wild erregt,

Unser Lieben, unser Hassen

Sei ins welke Laub gelegt!


Reiner, weißer Schnee, o schneie,

Schneie beide Gräber zu,

Daß die Seele uns gedeihe

Still und kühl in Winterruh!

Bald kommt jene Frühlingswende,

Die allein die Liebe weckt,

Wo der Haß umsonst die Hände

Träumend aus dem Grabe streckt!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 244-245.
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