Frauenbild

[65] Auf dem weichen, grünen Rasen,

Kniet ein Frauenbild,

Ihre Arme gegen Himmel,

Lächelt sie so mild.


Sanft sich ihre Lippen regen,

Lispeln hörbar kaum,

Ihre Blicke schweifen trunken

In des Himmels Raum.
[65]

»Großer Gott, Du hast willfahret

Meinem still' Gebet –

Großer Gott, nur Dank und Freude

Sei vor Dir gefleht!«


Englein steigen auf und nieder,

Und der Morgen graut,

Und das Herz der Jungfrau bebet,

Und die Rose taut.


Einen Blick noch zu dem Himmel,

Einen Dankesblick,

Einen Blick erhabener Klarheit,

Ruh' und Seelenglück.


Und das Haupt die Jungfrau birget

In dem weichen Gras,

Andachtsschauer hebt die Seele,

Und ihr Aug' wird naß.


»Gieb mir eins noch, Gott der Gnade,

Laß mich dankbar sein,

Treu und dankbar, Gott der Gnade,

Und mein Herz bleib' rein!«
[66]

Wißt ihr wohl, wer so erglühet

Sprach das Dankgebet?

Die's gewesen, lieber Leser,

Selber vor Dir steht.


Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. LXV65-LXVII67.
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