Basen und Schwestern

[123] Außer einem Sohne hatten diese von einander so verschiedenen Eheleute noch zwei Töchter, von denen die jüngere nahe meinem Alter war. Sie hatte die Sanftmut und Ordnungsliebe der Mutter, ein rundes niedliches Gesichtchen, und ein ganz schwarzes und ein ganz blaues Auge. Mit ihrem Bruder und meinen Schwestern, die aber älter als sie waren, waren diese Mädchen oft meine Unterhaltung und Begleitung in den Gärten und auf den Spaziergängen. Meine älteste Schwester Ludovike war sehr lebendig und reizbar. Ihre Gesichtszüge waren regelmäßig und schön, und es verglichen sie schon in Ludwigsburg Emigranten und auch einmal der Herzog Ludwig mit der unglücklichen Königin Marie Antoinette. Ihr Gemüt war äußerst gut, und sie hätte Hab und Gut verschenkt, hätte man ihr viel zugelassen. Ein Jammer war, daß sie für das einfache, stille, sorgliche Wesen der Mutter oft zu exzentrisch war, weswegen sich diese beiden oft nicht verstanden.

Sie wurde während unseres Aufenthaltes in Maulbronn[123] an einen braven Geistlichen (Pfarrer Zeller zu Wiernsheim) verheiratet und starb zu Derdingen, nachdem sie einem schon erwachsenen Sohn geistlichen Standes, der an einem ansteckenden Nervenfieber darniederlag, mit treuer Mutterliebe Tag und Nacht abgewartet hatte, wie er, ein Opfer desselben. Drei ihrer Söhne leben noch, von denen einer ein tätiger Kaufmann im Vaterlande ist, der andere als Direktor der Landwirtschaft im Großherzogtum Hessen-Darmstadt sehr würdig vorsteht. Der dritte widmete sich dem Militärstande. Während die Mutter mit diesem guter Hoffnung war, befand sich die schon erwähnte Tochter des Professors Maier, die ein schwarzes und ein blaues Auge hatte, oft um sie, welches Naturspiel dadurch auch auf diesen ihren Sohn überging: auch er erhielt ein ganz schwarzes und ein ganz blaues Auge.

Die jüngere Schwester Wilhelmine war von ruhigem gesetztem Wesen. Sie hatte den Verstand und das Rechtlichkeitsgefühl des Vaters geerbt. Mein Vater gebrauchte sie oft zu seinem Sekretär, auch kam sie meiner Mutter in der großen Ökonomie sehr zu statten.

Obgleich älter als ich, gab sie sich doch oft auch meinen Zerstreuungen hin, und ich erinnere mich noch jetzt oft mit Vergnügen der Stunden, wo wir mit Stroharbeiten beschäftigt, mit welchen wir die Eltern überraschen wollten, auf dem Heu der nahen Tenne verborgen saßen. Aber auch an meinem Unterrichte in der Geographie, der Geschichte usw. nahm sie teil, und wir lasen manches Buch Geschichten und Lieder mit einander. Ich erinnere mich oft eines Spieles, das wir damals häufig trieben, und das, wäre ich intellektueller gewesen, mich zur Erfindung der Dampfwagen hätte bringen können. So oft nämlich meine Schwester morgens die Kaffeetassen in heißem Wasser reinigte, kehrte ich sie, so lange sie noch innen vom Wasser dampften, schnell auf den glatten[124] Tisch um, und da spazierten sie, vom Dampfe innen getrieben, von selbst den Tisch entlang, was ich sie oft, auch zum Vergnügen meiner Schwester, wiederholen ließ. Die Dampfwagen in meinen späteren Jahren brachten mir dieses Spiel wieder in Erinnerung.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 123-125.
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