Der Kutscher Matthias

[125] Nebst den Pferden, Kühen und Gärten hatte mein Vater von seinem Vorfahren im Amte auch einen alten Kutscher übernommen, der Matthias hieß und von komischem Wesen war. Er war wie der Polichinell im Marionettenspiele, wie ein Hofnarr, dem man seine auch oft derben Späße nicht übel nahm. Als einmal ein großes Gastessen im Hause war, entfiel ihm vor der Tür die volle Suppenschüssel. Er ließ sich aber dadurch nicht aus der Fassung bringen, öffnete die Tür und sagte zu den Versammelten: »Meine Herrschaften, die Suppe wurde hier außen angerichtet, nehmen Sie die Löffel mit!«

Wir hatten ein naives junges Bauernmädchen von der Alb in Diensten; an dieser übte der Alte oft seine komischen Launen. Er hatte von der vorigen Herrschaft einen Guéridon aufgegabelt, der einen Mohren mit einer Krone auf dem Kopfe vorstellte. Diesen legte er einmal in ein weißes Hemde gekleidet dem Mädchen, ehe es in die Kammer kam, ins Bett, worauf es mit einem entsetzlichen Geschrei: »Der Teufel! der Teufel! der Teufel ist in meinem Bett!« die Treppe herab sprang und das ganze Haus in Alarm versetzte und aus den Betten brachte.

Einmal kutschierte er meine Mutter und die Frau des Prälaten mit dem Rappen auf einer Wiese, auf der viele Schlüsselblumen sproßten. Da fing er auf einmal mit matter Stimme zu sagen an: »Mir wird's grün und gelb[125] vor den Augen«, so daß die Frauen, welche glaubten, es befalle ihn eine Ohnmacht, einen Vorübergehenden um Hülfe riefen und ihn baten das Leitseil zu fassen, ehe ihr Kutscher herunterfalle. Er aber lachte ihrer Angst, ihm sei es ganz wohl, aber wie ihnen gewiß auch hier grün und gelb vor den Augen.

Außer dem Humor eines Lustigmachers und der Kunst eines guten Pferdelenkers hatte aber der alte Matthias noch eine gute Eigenschaft, er war ein vortrefflicher Jäger, was in dieser Gegend, so reich an wildem Geflügel, sehr erwünscht war. Mit wilden Enten, Wasserhühnern, Schnepfen usw. versorgte er gar oft und reichlich unsere Küche.

Marder und Iltisse gab es in den alten Gängen und Mauern des Klosters in Menge; auch diese wußte er geschickt zu fangen und sich ihres Pelzes zu bemeistern. Weniger ließ er sich zum Fangen unedler Tiere, namentlich der Ratten, bewegen, und ich weiß Mondscheinnächte, wo man diese Tiere aus einem Kellerloche des Oberamteigebäudes in einer langen schwarzen Prozession, eine hinter der andern, über die Straße zu den benachbarten Brunnen, dort zu saufen, langsam ziehen sah. Matthias hatte vor solchen einen wahren Respekt, er wollte nie gegen sie zu Felde ziehen oder Fallen stellen, und gab zu verstehen, hinter ihnen könnte doch der Teufel stecken, sie seien noch von den alten Klosterzeiten her und könnten gar verwünschte Mönche sein. Mir gab der komische Gesell viele Veranlassung zur Hintanstellung der Bücher durch Verlockungen zu Spazierritten, zum Laufen an die Seen, und durch Herbeischaffung von Vögeln aller Art, von Hunden, Rehen, Kaninchen, Eichhörnchen, Eidechsen, lebendigen Ottern und Schlangen.

Quelle:
Justinus Kerner: Bilderbuch aus meiner Knabenzeit. Frankfurt a. M. 1978, S. 125-126.
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