Achtes Kapitel.

[24] Sililie widmete sich von Tag zu Tag mehr ausschließlich der Pflege jenes alten Mannes, den sie den Waldvater nannten. Sie bereitete ihm an jedem Morgen ein neues Lager von getrocknetem Moose, das sie öfters bunt mit jungen Waldblumen umwand. Oft auch bekränzte sie, wenn der Alte im Schlummer lag, sein bemoostes Haupt mit lichten Blumen. Unter dieser zarten Pflege schien der Alte sich auch in der Tat zu verjüngen. Seine von rauhen Wimpern beschatteten Augen, die sonst immer unter harten Decken verborgen lagen, wurden immer sichtbarer; sie schienen größer zu werden und zeigten ein helles himmelblaues Licht. Auch bemerkte Lambert: daß, seit Sililie die Pflegerin des Alten war, er wärmer anzufühlen war und einige der Runzeln seines alten Gesichtes verschwanden. Der Alte fing auch an, an Blumen, die Sililie ihm reichte, Wohlgefallen zu finden, dieselben gern in seiner Nähe zu haben und anzusehen.

Indes ging Sililie immer weniger unter andere Gespielinnen, ihre liebste Beschäftigung schien die um den alten Mann zu sein; sie war stiller geworden. Lambert bemerkte, daß sie immer weniger aß, auch bleicher wurde, und so fing er an, um ihre Gesundheit besorgt zu werden.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 24.
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