Auf das Wildbad

[66] Quält Schmerz und Krankheit deine Glieder,

Macht welk dein Herz der Menschen Qual,

Verlaß die Welt und steig hernieder

In dieses unterird'sche Tal.


Hier legt Natur mit linden Armen

Dich an die Brust und löst den Schmerz,

Will dich kein Menschenherz erwarmen,

Erwärmt dich hier ihr Mutterherz.


Der Wasser gute Geister singen

Hier aus kristallnen Tiefen laut:

»Bald werden dem wir Heilung bringen,

Der liebend unsrer Kraft vertraut.«[66]


Ja, Kranker, wie ein Kind ans Herze

Der Mutter sich vertrauend legt,

Lieg in dem Born mit deinem Schmerze,

Von Lieb' und Hoffnung still bewegt.


Wie Lenzeshauch wird's dich durchbeben;

Frag' nicht, wie diese Kraft man heißt;

Du kehrst, ein neuer Mensch, ins Leben

Und sprichst: Das tat des Wildbads Geist!

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 66-67.
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