Das Lied

[79] In Gram durchschiffet leise

Der Schwan die blaue Flut,

Still eines Liedes Weise

In seinem Busen ruht.


Er singt's nicht in den Tagen

Des Leids, noch so beraubt;

Wenn beßre Stern' ihm tagen,

Singt er's und neigt das Haupt.


Der Sänger, der mit Schmerzen

Erstorben sieht sein Glück,

Dem bleibt das Lied im Herzen,

Die Trän' im Aug' zurück.[79]


Doch wird der Gram zum Sehnen,

Das süß die Brust durchglüht,

Entquell'n dem Auge Tränen,

Springt aus der Brust das Lied.


So ist auch mir entsprungen

Dies Lied bei mildrem Schmerz,

Doch kaum ist es verklungen,

Kehrt starrer Gram ins Herz.


Im Busen steigt es nieder,

Die Träne stockt im Blick.

Ihr, Freunde, singet Lieder,

Mir hält's der Gram zurück.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 79-80.
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