Das Silberhaus am Tegernsee

[132] O du im weißen Zauberhaus

Am grünen Tegernsee,

Du bist, ich sag' es frei heraus,

All dieser Wunder Fee.[132]


Wie eine Perle weiß und rein

Auftaucht im grünen Meer,

So blickt dein Haus im Silberschein

Aus grünen Matten her.


Sehnsüchtig blickt der See empor

Zu ihm in stiller Nacht,

Wenn es in seinem Silberflor

Im Mondschein niederlacht.


Das Schwellen seiner Wellenbrust

Tut seine Liebe kund,

Ich weiß wohl, wen er sucht voll Lust,

Dich Fee, in seinem Grund.


Und wie er blickt zu dir empor,

Wächst auch zu ihm dein Sinn,

Ein Tuch von himmelblauem Flor

Trägt durch die Luft dich hin.


Da unten im kristallnen Haus,

Im Wohltun ganz beglückt,

Macht er mit dir die Wunder aus,

Die rings er aufwärts schickt.


Er macht mit dir den heitern Tag,

Der Berge Farbenpracht,

Der Vögel und der Wellen Schlag,

Den Mondschein durch die Nacht,


Der Matten lichtes, saft'ges Grün,

Der Wälder Nachtgewand,

Der stillen Hütten friedlich Blühn

Auf Bergen und am Strand,


Den Gottesfrieden in der Brust

Des Wandrers, der hier weilt,

Daß er, vertieft in all die Lust,

Nicht mehr zur Heimat eilt.


Dies alles denkt und macht mit dir

Der gute Seegeist aus,

Dann schwebst du wieder fort von hier

Gen Berg ins Silberhaus.


Wer dich dort sieht im blauen Kleid,

Wer höret den Gesang,

Der oft schon durch die Einsamkeit

Hinab zu lauschen drang,[133]


Der ahnet, – spricht er auch nicht aus,

Daß eine Fee du bist, –

Doch daß in diesem Silberhaus

Der Geist der Liebe ist.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 132-134.
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