Glück des Verlassenseins

[185] Wohl ist es schön, zu stehen

In trauter Freunde Reihn,

Doch schöner ist's, zu gehen

In weiter Welt allein.[185]


Mensch! bist du ganz verlassen,

Klag' keinen Augenblick!

Da kannst du erst dich fassen,

Kannst gehn in Gott zurück.


Es täuscht die Welt, die trübe,

Dir nimmer Aug' und Ohr;

Die innre Welt der Liebe

Eröffnet dir ihr Tor.


In ihr lebst du versunken

In Gottes Angesicht,

Die andern, erdetrunken,

Gewahren deiner nicht.


Ja! möchten sie dich lassen

In deinem Innern stumm,

Verlassen, ganz verlassen,

Bis deine Zeit ist um.


In Tiefen unberühret

Wächst einsam das Metall;

Wo's nachtet und gefrieret,

Sich bildet der Kristall.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 185-186.
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