Gram des Wissens

[204] Geh' ich hinaus ins Freie,

Wo still die Blume blüht,

Und wo durch Äthers Bläue

Der Vogel singend zieht,


Wo Fischlein in dem Spiegel

Der Quelle wonnig tut[204]

Und auf bemoostem Hügel

Der Schäfer flötend ruht:


Dann möcht' ich aus mich weinen

Am Busen der Natur,

Den Auen und den Hainen

Laut sagen alles nur.


Möcht' sagen: Hab' Erbarmen,

Natur! o Mutter du!

Zum Fischlein mach' mich Armen,

Zur Blume voller Ruh',


Zum Vogel, dessen Schwingen

Durchwehen Luft und Lied,

Der Dank dir zuzusingen,

Natur! wird nimmer müd.


Doch soll ein Mensch ich bleiben

Nimm 's Wissen mir zuvor;

Dann lehr' mich Schäflein treiben

Und flöten auf dem Rohr.


Will tun in jedem Stücke,

Natur! wie dir's gefällt,

Nur stoß mich nicht zurücke

Ins Wissen dieser Welt.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 204-205.
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