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[140] Tief ergraut stieg Englands König
Von der Väter hohem Thron,
Legte Zepter, goldne Krone
In die Hand dem edlen Sohn.[140]
Bald ihm Licht und Rede schwanden,
Einsam stand er in der Nacht,
Also von der Welt geschieden
Hat er Jahre zugebracht.
Plötzlich glänzt des Greisen Auge
Einmal noch im alten Licht,
Wie die halb versunkne Sonne
Einmal noch aus Wolken bricht.
Auch die Rede kam ihm wieder,
Klang ein voller Harfenton,
Treue Diener horchten staunend,
Rufen den geliebten Sohn.
»Heil!« so sprach der Sohn in Freude,
»Heil der himmlisch hohen Macht,
Die dich aus des Innern Nachten
Einmal noch zurückgebracht!
Weil', bis ich dein altes Leben
Dir mit Wein und Frühlingsduft
Und mit süßer, hehrer Kunde
Angefrischt in Kindeslust.
Seit zur Ruhe dir vom Himmel
Schlummer auf die Sinne sank,
Eisenband mit wildem Donner
Vom bedrückten Erdball sprang.
Nordlands Männer schwangen rächend
Eisen in der starken Hand,
Stürme brausten, Flammen tobten,
Zündeten im deutschen Land.
Unter ihren alten Eichen,
Wo sie banger Traum umfing,
Sprangen auf die deutschen Männer,
Sprengten keck der Kette Ring.«
Drauf des Alten Auge glänzte
Mit des Nordsterns vollem Schein,
Den Pokal ergreift er eilend,
Trinkt in Lust viel goldnen Wein.
Und er ruft in hoher Wonne,
Haltend zitternd den Pokal:
»Nordstern! aller Sonnen Sonne!
Leben trink' ich deinem Strahl![141]
Leben euch, ihr alten Eichen,
Im urfesten, deutschen Land!
Männern, euch, in ihrem Schatten,
Schwert in der gestählten Hand!
Braus, o Meer, in Harfentönen,
Singe hohen Festgesang,
Daß der Hölle Macht- zerschlagen,
Daß des Erdballs Kette sprang!
Was die Zeit in ihrem Laufe
Endlich euch zur Welt gebracht,
Wandelte als volle Sonne
Längst durch meine stille Nacht.« –
Also sprach der Greis entzücket,
Aber kehrte drauf zur Stund'
Wieder in des Innern Nächte,
Nimmer spricht fortan sein Mund.
Doch sein Auge blicket immer
Als ein himmlisch milder Stern;
Treue Diener stehen wartend
Um den alten, edlen Herrn.
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