Maienklage

[158] Ziehe nicht so spröd und schnelle,

Süßer Mai, an mir vorüber!

Einen Strahl nur deiner Helle!

Nur ein einzig Blümlein, Lieber!


Quellen rauschen, Vögel singen,

Volle Blütenbäume wehen,

Doch an all den süßen Dingen

Muß ich kalt vorübergehen.


Waldesnacht, wo Vögel schliefen,

Ist erhellt von Blumen, Quellen,

Ach! des Busens bange Tiefen

Kann kein Maienstrahl erhellen!


Laß die Stern' an Himmelszinnen,

Blüten auf der Erde glänzen, –

Totes Herz! im Hügel innen

Liegst du unter welken Kränzen!

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 158-159.
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