Pfarrer Sauls Gesicht

[147] (Nach einer wahren Begebenheit.)


Saul schuf sich Himmel, schuf sich Gott

Nach eignem bunten Dichten,

Die Wunden Jesu sind ihm Spott,

Ihm kindische Geschichten;

»Das Höchste«, spricht er, »ist Verstand,

Der schlichte Glaube Kindertand.«


Umsonst der Gattin Rede strebt,

Den Harten zu bekehren,

Sie spricht: »Bald hab' ich ausgelebt,

Kurz wird der Traum noch währen;

Dann gebe Gott, daß meine Leich'

Dich mache durch ein Zeichen weich.«[147]


Bald ging sie ein in Gottes Ruh'

Aus hartem Streit hienieden,

Er drückt ihr sanft die Augen zu

Und spricht: »Wir sind geschieden!

Denn hin ist hin und tot ist tot,

So heißt das eiserne Gebot!«


Daß es so worden, ist ihm arg,

Er geht in seinem Jammer,

Bevor man sie gelegt in Sarg,

In ihre Totenkammer,

Er schaut sie an mit trübem Blick

Und fühlt in sich verlornes Glück.


Da richtet sich die Leich' empor,

Kreuzt auf der Brust die Arme,

Und aus dem kalten Mund hervor

Tönt's: »Gott sich dein erbarme!

Was du nicht glaubtest, wahrlich ist: –

Nur Seligkeit in Jesu Christ!«


Er hört's, ein Schauer packt ihn leis,

Er gehet bleich von hinnen,

In seiner Freunde bunten Kreis,

Doch spricht er da: »Den Sinnen

Traut nicht; was ich erfahren, ist

Ein Blendwerk oder Weiberlist.«


Er hat es nicht bekannt der Welt,

Doch wird fortan er stille,

Die äußere Gestalt zerfällt;

Als tot liegt seine Hülle,

Da kreuzen seine Arme sich

Und stöhnt sein Mund: »Ein Tor war ich!«

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 147-148.
Lizenz:
Kategorien: