Rat im Mai

[165] Wo Saaten sich erheben,

Wo froh die Vögel schweben

Mit Singen himmelwärts,

In linden Maientagen,

Kannst du nicht ruhig schlagen,

Du krankes, krankes Herz?


Geh aus auf grüner Heide,

Wo's Blümlein blüht voll Freude,

In Duft, Gesang und Strahl;

Leg' dich zu ihm darnieder,

Duft, Himmelsglanz und Lieder,

Die heilen deine Qual.


Laß ganz der Menschen Streben,

Sei wieder freigegeben

Der alten Einsamkeit!

Wie Vogel singt in Lüften,

Ausströmt die Blum' in Düften,

Strömt aus, o Herz! dein Leid.


Dann kehre sonder Trauern

In armer Städte Mauern:

Es kehret ohne Weh

Die Blum' ins Erdreich wieder,

Träumt Sonnenschein und Lieder

Tief unter Eis und Schnee.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 165.
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