10.
10. [Als ich vor dem Tintenfaß]

[81] Als ich vor dem Tintenfaß

Wieder mit der Feder saß

Und mit solcher tief gestochen

In die Tinte bis zum Satz,

Kam etwas heraufgekrochen,

Wie der Schwanz von einer Katz'.

Mir doch ward es immer bänger,

Denn das Ding wurd' immer länger,

Gar zu lang für eine Maus,

Und der Teufel kroch heraus.

Erst macht er drei Reverenzen,

Schlingend mit dem Schwanze Ringe,

Und erzählt mir Wunderdinge

Von sich, um vor mir zu glänzen,

Daß er einst gewesen sei

In Neapels Hofkanzlei.[82]

»Jetzt bin ich (Sie werden's merken)«,

Spricht er, »nun an andrer Stelle,

(Jedem wird nach seinen Werken),

Ein klein wenig in der Hölle.

Einstens war ich groß und reich,

Jetzt, um's kurz zu sagen gleich,

Bin ich zwar ein armer Schlucker,

Doch ein emsiger Geselle

Und der Druckerschwärze Reiber

Von des Satans Hofbuchdrucker,

Wollte Ihnen sagen schnell:

Daß für schwarze Höllenleiber

Ihre Tinte ist zu hell,

Werde, um sie schwarz zu frischen,

Sie mit Druckerschwärze mischen.« –

»Fort!« rief ich, vor Zorn ganz blaß,

»Meinst du nicht, ich merk' nicht, daß

Du der vor'ge Teufel, nur

Mit veränderter Figur,

Der hinaus zum Schornstein fuhr.

Ließ' ich mich vom Zorn hinreißen,

Würd' ich dir das Tintenfaß

Luth'risch an den Bockskopf schmeißen.

Doch genug für dich ist – das

Drauf hab' ich ein Kreuz geschlagen,

Was die Teufel nicht ertragen,

Da ward schnell er dünner noch,

Dünner als der Spinne Waden,

Und als schwarzer, här'ger Faden

Fuhr er durch das Schlüsselloch.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 2, Berlin 1914, S. 81-83.
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