[125] Eine Herberge für arme Handwerksbursche ist nun das Haus, das einst Hans Sachs bewohnte; ich wählte es auch zu meiner Herberge.
1Mich deucht, ich reist' aus rustig
Und kam zur Maienzeit
In eine Stadt groß, lustig,
Von Häusern, schön bereit,
Die Wohnung der gedürsten[125]
Reichsfürsten
War mitten in der Stadt.
Und auch ein Berg hoch, grüne,
Darauf ein schöner Gart,
In Freuden war ich kühne,
Weil drein gepflanzet ward
Wohl mancher Baum voll Früchte,
Gezüchte,
Pomranzen und Muskat;
Mehr fand ich drein
Rosinlein fein,
Mandeln, Feigen, allerlei rein
Wohlschmeckend Früchte, groß und klein,
Genoß viel Volks da insgemein,
Das drein spazieret hat.
Mitten im Garten stande
Ein schönes Lusthäuslein,
Darin ein Saal sich fande,
Mit Marmor gepflastert fein,
Mit schön lieblichen Schilden
Und Bilden,
Figuren frech und kühn.
Ringsum der Saal auch hatte
Fenster geschnitzet aus,
Durch die man all Frücht' tate
Im Garten sehen draus.
Im Saal stand auch ohnecket
Bedecket
Ein Tisch mit Seiden grün,
An selbem saß
Ein alt Mann blaß,
In einem langen Bart fürbaß
Grauweiß, wie eine Taub' er saß
Auf einem Blatte grün.
Das Buch lag auf dem Pulte
Auf seinem Tisch allein.
Und auf den Bänken, gulden,
Mehr andere Bücher fein,
Die alle wohl beschlagen
Da lagen,
Der alt Herr nit ansah.
Wer zu dem alten Herren[126]
Kam in den schönen Saal,
Und grüßet ihn von ferren,
Den sah er an diesmal,
Sagt nichts und täte neigen
Mit Schweigen
Gen ihn sein alt Haupt schwach.
Dem dacht' ich noch halb schlummernd nach, da deuchte mir auch, als ständ' ich in dem Garten; er war rings von Moos und Efeuranken beschirmt, umwachsen. Da saß der alte Herr noch, sein Bart war durch den Tisch gewachsen. Die alten Bäume standen von hundert und hundert Jahren her noch mit ihren alten Früchten da, und die Blumen, noch die alten, dufteten durch den weiten Garten; die Vögel, welche den Garten einst bewohnten, hatten den alten Herrn auch nicht verlassen; sie saßen noch auf den Bäumen umher und sangen ihr altes Lied.
Es war dem Herrn die ganze Natur so treu geblieben – – ein Mensch aber war nicht mehr um den alten Herrn zu erblicken.
Da ward mir gar trüb zumute, und schwur ich in meinem Sinn, nimmer aus dem Garten zu kehren, und hub zu weinen an. Dies ersah der alte Herr und tät sein Haupt gegen mich lächelnd neigen; da erwacht' ich.
Und da ging ich zum Johanniskirchhofe hinaus und auf Hans Sachsens Grab.
Nicht weit von Albrecht Dürer ruht er auf der Seite, wo nun auch Grübel ruht; sie schlummern alle in den Gräbern ihrer Väter.
Sonnenblumen wuchsen aus ihrer Asche, die heben unverwandt ihre Häupter zum Stern der Liebe und Kraft auf.
1 So beschreibt ein Schüler Hans Sachsens seinen Meister und dessen Vaterstadt Nürnberg. Die Herausgeber des Wunderhorns nahmen dieses alte Gedicht, jedoch mit eigenen Zusätzen, in ihre Sammlung auf.
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