Sechste Vorstellung.

[71] Der Weg war voll weinseliger Bauern, die von dem Markte nach Hause taumelten.

Der erste, welcher mir begegnete, war wahrscheinlich ein Soldat gewesen: denn er sang beständig von der Festung Belgrad. Sein Weib, das ganz ergrimmt neben ihm herging, suchte ihn durch Stöße in die Mitte der Straße zu leiten, wenn er sich dem Chausseegraben näherte. Sie machte ihm bittere Vorwürfe über seine Lebensart, er aber antwortete bloß damit, daß er zwischen ihre Strafreden hinein »Gott grüß' dich, Alter! schmeckt das Pfeifchen?« ihr vordeklamierte.

Derselbe Bauer versicherte, daß, wenn er nachts im Rausche wie ein Vieh nach Hause komme, er doch jedesmal noch nach seinen Kindern sehe, ob sie einen leichten Atem haben.[71]

Der Bauer taumelte vorüber; drei Schneider kamen des Wegs gegangen, hinter denen ein Junge zufällig eine Herde Böcke hertrieb.

Die Schneider sahen sich beim ersten Meckern der Böcke um, blieben stehen und sahen sich fragend an, ob das ihnen gegolten habe?

Die Böcke blieben auch stehen und sahen sich gleichfalls an.

Darüber gerieten die Schneider in ein solches Entsetzen, daß sie über den Chausseegraben auf die Wiese sprangen, worauf die Böcke wieder meckernd weiterzogen.

Unter den Schneidern aber entstand bald ein sehr lebhaftes Gespräch, wovon ich vermöge eines Echos im Tale nur so viel vernahm, daß von einer gänzlichen Ausrottung der Böcke, wie einst der Wölfe in England, die Rede war.

Alles Verderben, welches die Welt durchschleicht, wurde diesen Tieren zugeschrieben.

Bockslederne Hosen, behauptete der eine, verursachten kaltes Fieber; der andere versicherte, daß er für gewiß wisse, daß, wenn auf den Gestank einer Bocksherde der letzte Sonnenstrahl falle, der Gestank, in ein Heer von Wanzen verwandelt, weiterfliege.

Der dritte aber erzählte, daß er aus einem geschriebenen Blatte, das er einst in der Rocktasche eines Professors gefunden, für gewiß ersehen habe, daß von den Böcken die Pocken ihren Ursprung genommen.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 71-72.
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