Siebente Vorstellung.

[72] Auf einer steinernen Bank am Wege saß der Mühlknecht, das Haupt auf seinen Bündel gelehnt.

Er war vorausgegangen und erwartete mich hier. Wir wanderten vertraulich die Straße hin.

Er erzählte mir, wie er im Sinne gehabt, auf die Wanderschaft zu gehen, weswegen er vor zwei Monaten aus seiner Heimat, einer Mühle in den Hallwäldern, ausgegangen; er sei nun aber wegen des ausgebrochenen Krieges genötigt, wieder zurückzukehren, um mit den Franzosen nach Österreich zu ziehen.

Er erzählte mir viel von den Wäldern, Tälern und Bergen seiner Heimat, auch von seiner Geliebten, und da traten ihm Tränen in das Auge.

»Es ist in mir«, sprach er, »die gewisse Ahnung, daß ich nicht lange mehr leben werde. Zudem ist mein Leben ja doch geendigt, das hab' ich gefühlt, als ich von meiner Heimat ausging, damit war's geschlossen. Fort lief ich wie der Hingerichtete,[72] der ohne Haupt vom Stuhle aufsteht und noch vier Schritte unter die Lebendigen vorwärts tut.«

»Über das Grab bin ich hinausgetaumelt, jetzt holt mich der Tod zurück. Und dennoch ist es mir bei all den Gefühlen, Gott! wie wohl zumute; weiß ich doch, daß alles geschlossen ist, daß mein Leben ein gemeines und langweiliges würde, wenn es sich länger hinauszöge.«

Derlei Rede bewundert' ich; denn ich fühlte tief ihre Wahrheit im Leben so vieler gegründet.

Wie viele, dacht' ich, irren noch umher, nicht fühlend, daß es mit ihrem Leben schon längst aus ist.

Die gleichen einem Drama, das gediegen gewesen wäre, wenn es beim vierten Aufzuge geendigt hätte, das aber, bis zum fünften Aufzuge hinausgezogen, langweilig und kalt gescholten wird.

Vielleicht hat derlei Menschen der Tod nur abzuholen vergessen, sie sind so lächerlich als zum Ball geschmückte Jungfrauen, die keiner zum Tanze auffordert. Doch wird dies nie einem, den die Natur, der Tod liebt, geschehen.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 72-73.
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