Stammtisch

[86] Eines Abends erschien am Stammtisch »Hindenburg« ein junger magerer Mann, den niemand kannte, und machte sichs bequem. Er stellte seine Röllchen untern Stuhl und trug dem in devoter Erschrockenheit herbeieilenden Kellner auf, einen Würfelbecher zu beschaffen. Der klapperte nun bald in der knochigen Hand des jungen Mannes, welcher die Bank hielt. Es galt lustige Sieben. »Einsatz,« sagte der junge Mann, »nicht unter zehn Mark. Ich nehme auch immobile Werte in Zahlung: hohle Köpfe, rote Herzen, Bauterrains zu Friedhöfen geeignet, eiserne Kreuze und so weiter. Nur keine weiblichen Brüste. Sie widerstehen mir ...« – Es ging wie mit dem Teufel zu. Jeder verlor. Der wabblige Amtsgerichtsrat seine (unbeträchtlichen) juristischen Kenntnisse. Der Apotheker seinen Giftschrank. Der Oberlehrer wollte seinen Verstand verlieren und in Zahlung geben. Aber der junge Mann wies ihn als unbrauchbar und defekt zurück. – Der junge Dichter verlor sein Herz. Als er es nun auszahlen wollte, stellte es sich heraus, daß er gar[86] keines hatte, sondern daß er dasselbe besaß wie der junge Mann. Er konnte es also überhaupt nicht verlieren. Da erkannten sie sich und tranken Duzbrüderschaft. Nachher pokerten sie noch zu zweien, und siehe: der Dichter hielt alle Damen in der Hand, der junge magere Mann nur das Pique-Aß. So übertrumpfte der Dichter den Tod.[87]

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Klabund: Der Marketenderwagen. Berlin 1916, S. 86-88.
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