Boschel

[85] Kennen Sie Boschel? Boschel ist ein komischer Kauz. Sie werden es mir glauben oder nicht: aber, heute begegnen Sie Boschel auf der Straße. Sie grüßen ihn: »Guten Tag, Herr Boschel, wie geht's?« Und Boschel, unter schwarzem Kalabreser wankend, gibt Ihnen freundlich Bescheid. Am nächsten Tage gehen Sie ins Gesindebureau – wen treffen Sie dort, mit der Wahl eines neuen Dienstmädchens beschäftigt? Frau... Boschel! Sie grüßen höflich:

»Guten Morgen, Frau Boschel, wie steht das werte Befinden?« Frau Boschel lächelt: »Danke. Und Ihnen?« – Sie aber erstarren – wie Loths Weib – zur Salzsäule... Wohlbemerkt: Frau... Boschel, das ist wiederum... Boschel, der sich heute in seine Frau verwandelt hat. Am dritten Tage begegnen Sie, auf dem Wege zur Schule: wem? Kind Boschel! Mit einem Tornister auf dem Rücken und einer Pflaumenmusstulle in der Hand.[85] Sie grüßen freundlich: »Grüß Gott, Boschelchen.« – Und Boschel – denn er ist es – tut mit im Stimmbruch befindlicher Stimme Bescheid: »Grüß Gott.« Der eisigste Schreck fährt Ihnen bis ins Rückenmark. Wohin Sie treten: Boschel! Boschel ist überall. Boschel ist auf der Straße und im Zimmer. Boschel ist jener elegante Reiter und der zerlumpte Bettler an der Kirchenpforte von Sanct Antonio. Boschel hupt im Auto und bellt im Fleischerhund. Und wenn Sie abends schlafen gehen und zum Mond beten wollen: Sie ziehen entsetzt den Fenstervorhang zu: denn groß und golden steht am Himmel: Boschel.[86]

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Klabund: Kunterbuntergang des Abendlandes. München 1922, S. 85-87.
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