Brief an Asta Nielsen anläßlich ihres Hamlet-Films

[119] Hochgeschätzte gnädige Frau! Sie stehen auf dem Standpunkt des ehrengeachteten Professors Weyning, Hamlet sei ein Weib gewesen. Oder vielmehr: der Film steht auf seinem Standpunkt. Gestatten Sie mir die bescheidene Bemerkung, daß es zwischen Ihrer bzw. des Professors Weyning bzw. des Films Auffassung und der normalen üblichen Auffassung, daß Hamlet ein Mann gewesen sei, noch einen sozusagen goldenen Mittelweg gibt, den Professor Gotthold Breitenschröt in seiner grundlegenden Schrift: »Hamlet – ein Mann?« (Leipzig 1851) beschritten hat. Danach war Hamlet ein Zwitter, ein Hermaphrodit, ein Mannweib oder ein Weibmann. Diese These, tief in charakterologischen und psychologischen Studien verankert, hat viel für sich, und ich stelle sie hier zur Diskussion, in der Hoffnung,[119] sie werde Ihnen einige Anregung für Ihre maßgebende Neuschöpfung der Hamletrolle bieten. –

Sie weisen auf die geistigen Führer von heute hin, die bereits dem Film gewonnen sind. Erlauben Sie mir, Ihren Blick auf die geistigen Führer der Vergangenheit zu richten. Insbesondere ist es ein Werk der Weltliteratur, das in seinem farbenprächtigen orientalischen Gewande, in seiner bizarren Erotik, seinen knapp und bildmäßig gestalteten Anekdoten nach einer Verfilmung geradezu schreit: dies ist das Tao-te-king des alten chinesischen Weisen Lao-tse. Tao ist eine alte, Verzeihung, eine junge chinesische Prinzessin, in die sich beim Fünfuhrtee (te) ein alter (also wirklich alter) chinesischer König (king) verliebt, was dann zu allerlei scherzhaften und ernsthaften Verwicklungen Anlaß gibt. Im Film ist die Möglichkeit vorhanden, den ganzen chinesischen Kulturkreis aufrollen zu lassen: fürwahr, eine gewaltige, aber dankbare Aufgabe. Der Kassenerfolg[120] wird nicht ausbleiben. Niemand anders als Sie, hochgeschätzte gnädige Frau, ist für die Rolle der liebreizenden Tao geradezu prädestiniert. Wir hätten ein Monumentalfilmwerk, wie es uns keine Nation der Erde nachmachen könnte, ein Werk, das die Herrin der Welt, die Geheimnisse von New-York, den Mann mit der schwarzen Maske weit in den Schatten stellen würde. Was sagen Sie zu einem Titel wie: Tao, die träumerische Lotosblüte? Es sind keine geistigen und materiellen Kosten gescheut, dem Volke nur das Erstklassigste zu bieten! Ff. östliche Kultur in prima Aufmachung! Tao, die träumerische Lotosblüte, wird in tausend Lichtspieltheatern vor ausverkauften Häusern in Szene gehen, denn, um das Tao-te-king zu zitieren: Wer der Welt den Spiegel vorhält, der hat Zulauf von allen Seiten...[121]

Quelle:
Klabund: Kunterbuntergang des Abendlandes. München 1922, S. 119-122.
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