Der Gelbe

[51] Ambrosius, der sich als Porträtmaler einen Namen gemacht hatte, wurde eines Morgens in seinem Atelier von einem sonderbaren Besuch überrascht. Ein quittegelber Herr in schlecht sitzendem Gehrock und Zylinder verneigte sich vor ihm und sagte: »Tscheng-ho« und noch einige einsilbige, aber wohlklingende Worte. Ambrosius, dieser Sprache nicht mächtig, begann sofort den kleinen Gelben zu malen. Er malte bis zum Mittagbrot, da war der Kleine auf der Leinwand schon erkenntlich. Der klatschte in die Hände vor Freude und rief in einem fort: »Ho, ho.« Darauf verbeugte er sich und ging.

Am nächsten Morgen kam er wieder, beäugte prüfend Staffelei und Palette und setzte sich in Positur.

Ambrosius malte bis zum Mittag, und der Gelbe ging.

Ambrosius malte tage-, wochen-, monatelang. Er wunderte sich, daß er, ein anerkannter[51] Meister, es in dieser Zeit nicht weiter brächte.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, sagte Ambrosius und starrte dem Gelben auf die ungeheuer schwierig zu modellierende Stirn.

»Ho«, sagte der Kleine, denn er verstand gar nichts von dem, was Ambrosius sagte oder dachte.

Ambrosius war ratlos.

Seine Künstlerehre erforderte es, das einmal begonnene Bild zu Ende zu malen. Er schüttelte den Kopf. Das Samtbarett flog in die Ecke. Er zog den Rock aus. Er streifte die Hemdsärmel hoch.

Der Gelbe grinste.

Da nahm ihn Ambrosius mit beiden Armen und warf ihn auf die mit frischen Ölfarben bestrichene Leinwand.

Der Kleine schrie »Tscheng-ho« und noch einige einsilbige Worte, aber er blieb kleben.

Er zappelte noch ein paar Stunden, dann verschied er.

Ambrosius konservierte ihn zur Mumie.[52] Im Sommer stellte er ihn in der Sezession aus.

Die Kritik rühmte den »Gelben« einstimmig als sein bestes Porträt. Locker in der Form, tonig in der Farbe, überwältigend in der Komposition, erreichte, ja übertraf es sein Vorbild: Tizian.

Übrigens wurde es für die neue Pinakothek angekauft. Es hängt im dritten Saal gleich rechts.[53]

Quelle:
Klabund: Kunterbuntergang des Abendlandes. München 1922, S. 51-54.
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