Der Zahn der Zeit

[110] Ehe ich sterbe, will ich noch meinen Leichnam waschen und einbalsamieren, sagte Josua.

Er kaufte sich eine große Flasche Eau de Cologne, eine Flasche Kanadolin für die Haare, einen Karton Lilienmilchseife, sowie Dantes Göttliche Komödie und ging in das Türkenbad.

Die Badedienerin war ein scheußliches Weib mit einer moosigen Flechte mitten auf der Stirn und einem Grinsen nach dem Sofa hin.

Er badete sorgfältig, nahm eine kalte Dusche, begoß sich von oben bis unten mit Eau de Cologne und legte sich aufatmend auf den Diwan, um in der Göttlichen Komödie zu lesen.

Beim Anziehen zerbrach ihm der Kragenknopf.

Er klingelte der alten Vettel.

Haben Sie vielleicht einen Kragenknopf?

Sie schlurfte davon und kam im Moment zurück.[110]

Ihr zahnloser, fauler Mund verzog sich höhnisch in die Breite – als sie ihm einen grauweißen, unansehnlichen Kragenknopf überreichte und wieder hinter der Türe verschwand, noch in das Zimmer zurückbrummelnd:

Es ist mein letzter –...

Er wollte den Kragenknopf eben anlegen, als er noch einen Blick darauf warf.

Es war ein schmutziger, kariöser, menschlicher Zahn.

Des alten Weibes letzter Zahn.

Und ihr eben ausgefallen.[111]

Quelle:
Klabund: Kunterbuntergang des Abendlandes. München 1922, S. 110-112.
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