Ibykos

[59] Ich hasse das Weib.

Sie hat die Erdkugel auseinandergerissen in zwei Brüste,

Zwei Hälften, die kein Töpfer mehr zusammenkittet.

Ihre Haare sind schlammiges Moos

Aus dem Teiche der Trübsal.

Ihr Ruf ist der Ruf der brünstigen Unke.

Ihre Beine stahl sie der Gazelle,

Ihren Schoss einer fleischfressenden Pflanze,

Ihre Ohren der Spitzmaus.

Ihre Augen dem Maulwurf, als er schlief. –

Ibykos bin ich aus Rhegium,

Wohl erfahren in sanftem und wildem Melos.

Polykrates dem Tyrannen

Sang ich die Liebe der delphischen Knaben,

Und Samos lächelte meinem Gesang.

Der Helden gedacht ich

In chorischen Liedern,

Enkomien sann ich

Und Hyporchemen dem Apoll

Und zur Kythara und Flöte

Die heiligen Nomen.

Eros

Der Kypria hitziger Sohn

Hat mein Herz verwundet.

Es rinnt das Blut

Und tränkt die Frühlingserde[59]

Und düngt die Sommererde,

Dass reicher reife

Der kydonische Apfelbaum,

Um den die feldblumenduftenden Dryaden spielen

Und die bocksgerüchigen Satyrn.

O komm,

Knabe,

Dem der Flaum die Oberlippe noch nicht verunziert,

Springe,

Du thrakisches Füllen!

Auf deiner nackten braunen Haut

Spiegelt sich lüstern die Sonne.

Der Wind wühlt in deinem Gelock.

Dem matt ins Gras Sinkenden

Öffnet die Erde den jungfräulichen Schoss.

Du liebst sie.

Dein Same befruchtet sie,

Und eure Kinder werden die Welt beherrschen.

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 59-60.
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