Der kleine Mörder

[20] Er wußte nicht, warum er so elend war

Und warum der Himmel an jenem Abend so schwelend war.

Sein Schädeldeckel war aufgeklappt und Fliegen setzten sich auf sein rosiges Hirn

Und leckten daran. Göttliche Gedanken schienen ihn zu durchirr'n.

Wenn er das Messer nähme und sich die große Zehe abschnitt?

Oder ginge er lieber auf den Abtritt,

Und spielte mit sich, über den Abfluß geneigt?

– Da hat sich seine kleine Schwester in der Küche gezeigt.

Er hob ihr den Rock hoch und[20] stieß ihr die große Kelle

In den Schoß, daß sie schrie. Ihn trug die Welle

Des Abendrotes durch die Wolken hin.

Er sah nichts mehr.

Er fühlte nichts mehr.

Ihn trieb die rote Flut, das rote Meer

Zu einem uferlosen Ziel.

Er fiel

Lächelnd über die kleine Leiche hin.

Quelle:
Klabund: Die Harfenjule. Berlin [1927], S. 20-21.
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