Schlaflose Nacht

[44] Übermüdet, schlaflos lieg ich in den Decken,

Schon malt der junge Tag lichtgraue Flecken

Auf Ofen, Stuhl und Lampenknauf.

Das Fenster steht sperrangelauf.

Ein Hund läuft über den Asphalt, sein Halsband klappert.

Es tickt wo eine Uhr. Der Bäckerjunge tappert

Und schleppt im Sack Verschlafenheit und Bemme.

Von nebenan schwirrt, summt aus der Kaschemme

Ein trübes Lied auf trübgestimmter Zither.

Die Zunge jappt im Gaumen rauh und bitter,

Ich hole dürstend Glas mir und Karaffe –

Da ist die Sonne jenseit aufgetaucht,

Von rosagelbem Wolkendampf umraucht,

Und formt im Glase eine Goldagraffe,

Als wolle sie die letzten grauen Schlangen

Der Nacht mit einer goldnen Schlinge fangen.[44]


Quelle:
Klabund: Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern, Berlin [1913], S. 44-45.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!
Morgenrot. Klabund. Die Tage dämmern. Gedichte von Klabund pseud. (German Edition)