3. Ich ruhe in den Felßlöchern

[277] Auf die Weise: Wie nach einer Wasserquälle.


1.

Wann der Wolcken Nacht aufsteiget/

an dem blauen Sternenfeld/

Vnd deß Wetters Flammen zeiget/

daß die steinern Eichen spelt/

Treibt der Hirt die Schäfelein/

vor deß Himmels Vnmuth ein

sichert sie vor Dampf und Blitzen

und der Donnerkeile sprützen.


2.

Das beliebte Volck der Lüffte

stelt sein tireliren ein/[277]

und versteckt sich in die Klüffte/

daß es möge trucken seyn/

auch die Turteltaube schaut/

wo sie jhr Hauß aufgebaut/

in der holen Felsen Ritzen/

vor deß Hagels Zorn zu sitzen.


3.

Ach es hat sich aufgezogen

eine dunckeltrübe Nacht/

es kömpt Pechschwartz hergeflogen

durch deß Wolkentreibers Macht/

der erzürnte Höchste schilt

seiner Stimme Donner brült/

der erboste Himmel wittert/

Wild und Wald/ und alles zittert.


4.

Wol dem der sich hat gefunden

wenn es hagelt/ dampft/ und blitzt/

in die Höle der fünf Wunden

seines Heylands der jhn schützt/

daß jhm weder Sturm noch Flut/

weder Hagel/ Dampf/ noch Glut

auch im minsten nicht kan rühren/

ja das Wetter selbst nicht spüren.[278]


5.

Gleich wie die verwäisten Jungen

vor dem Habicht schüchtern seyn/

wenn ein Raub jhm mißgelungen

so verkreucht sich groß vnd klein/

in ein stilles Klippendach

Er setzt an/ vnd kan nicht nach/

fleugt erbittert auff und nieder

flattert hungrig hin und wider.


6.

Also ruhet meine Seele

weil sie zeitlich eingekehrt/

in die sanffte Seitenhöle

kein Stoßvogel sie gefährt/

läst der starcken Schlossenmacht

alles splittern daß es kracht/

und verlacht deß Geyers Magen

der sich nicht an sie darf wagen.


7.

Wann von neuen wird bemahlet

der hochliecht gestirnte Saal/

und der Erden Fakkel stralet

übergüldet Berg und Thal/[279]

kömt das Vöglein wider vor

schwingt sein Stimlein schön empor/

und kan auf viel tausend weisen

seines Schöpfers Rettung preisen.


8.

So wann es in meinem Hertzen

wider stil und heimlich wird

acht ich keiner Furcht und Schmertzen/

singe/ klinge daß es schwirt/

such ein neues Lied herfür

spiel eins auf der Lauten Zier

Ich kan keiner Freude missen/

üm daß ich dem Todt entrissen.

Quelle:
Johann Klaj: Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften, Tübingen 1968, S. 277-280.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Friedensdichtungen
Friedensdichtungen und kleinere poetische Schriften

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon