[286] Auf die Weise: Ich danck dir lieber Herre/ etc.
1.
Die Sonn hat sich verkrochen
der müde Tag ist hin/
die Nach ist angebrochen
die Sorgenlinderin/
die Weld hat angeleget
jhr düsterschwartzes Kleid/
kein Baum ist der sich reget
in Wäldern weit und breit.
2.
Die liechtbeflammten Sternen
das blancke Heer der Nacht/
die lernen uns von fernen
die starcke Vaterwacht/[287]
mein Gott mit meiner Zungen
hat mein geweckter Geist/
dich heute früh besungen/
Dich/ und dein Lob gepreist.
3.
Jetzt rühmet deine Güte
mein Loberfülter Mund/
auß brünstigem Gemüthe
in dieser Abendstund/
Dir wil ich Opfer bringen
mit diesen schlechten Thon/
laß mein Gebete dringen
durch deinen Wolcken Thron.
4.
Du hast mir zugeschicket
der heilgen Wächter Wacht/
daß mich kein Strick bestricket
kein Fall zu fall gebracht/
Freud/ Feinde/ Neider/ Hasser
kein Mensch hat mich beschwert/
Lufft/ Feuer/ Erde/ Wasser/
nichts/ nichts hat mich gefährt.[288]
5.
Was ich in Ambtsgeschäfften
geschafft/ hast du geschafft/
Du giebest meinen Kräfften
Krafft/ höchstgefürchte Krafft/
Du Weg mein Weg deß Lebens
Du meines Heiles Heil/
Du Segen meines Segens/
deß Erbes Erbetheil.
6.
Jetzt leg ich mich nun nieder
zur angenehmen Ruh/
jetzt rasten meine Glieder
die Fenster fallen zu/
Ich lege Händ und Füsse
fein Creutzweiß unbetrübt/
das ist mein Ruheküsse:
Also hat Gott die Welt geliebt.
Ende.
Ausgewählte Ausgaben von
Friedensdichtungen
|
Buchempfehlung
Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro