Zweite Szene

[178] Warwand; Zimmer im Schlosse. Sylvester tritt auf, öffnet ein Fenster, und bleibt mit Zeichen einer tiefen Bewegung davor stehen. Gertrude tritt auf, und nähert sich ihm mit verdecktem Gesicht.


GERTRUDE.

Weißt du es?

AGNES tritt auf, noch an der Tür halblaut.

Mutter! Mutter!


Gertrude sieht sich um, Agnes nähert sich ihr.


Weißt du die

Entsetzenstat? Jerome ist erschlagen.


Gertrude gibt ihr ein bejahendes Zeichen.


Weiß er's?

GERTRUDE wendet sich zu Sylvester.

Sylvester![178]

SYLVESTER ohne sich umzusehen.

Bist du es Gertrude?

GERTRUDE.

Wenn

Ich wüßte, wie du jetzt gestimmt, viel hätt ich

Zu sagen dir.

SYLVESTER.

Es ist ein trüber Tag

Mit Wind und Regen, viel Bewegung draußen. –

Es zieht ein unsichtbarer Geist, gewaltig,

Nach einer Richtung alles fort, den Staub,

Die Wolken, und die Wellen. –

GERTRUDE.

Willst du mich,

Sylvester, hören?

SYLVESTER.

Sehr beschäftigt mich

Dort jener Segel – siehst du ihn? Er schwankt

Gefährlich, übel ist sein Stand, er kann

Das Ufer nicht erreichen. –

GERTRUDE.

Höre mich,

Sylvester, eine Nachricht hab ich dir

Zu sagen von Jerome.

SYLVESTER.

Er, er ist

Hinüber –


Er wendet sich.


Ich weiß alles.

GERTRUDE.

Weißt du's? Nun

Was sagst du?

SYLVESTER.

Wenig will ich sagen. Ist

Theistin noch nicht zurück?

GERTRUDE.

So willst du nun

Den Krieg beginnen?

SYLVESTER.

Kenn ich doch den Feind.

GERTRUDE.

Nun freilich wie die Sachen stehn, so mußt

Du's wohl. Hat er den Vetter hingerichtet,

Der schuldlos war, so wird er dich nicht schonen.

Die Zweige abzuhaun des ganzen Stammes,

Das ist sein überlegter Plan, damit

Das Mark ihm seinen Wipfel höher treibe.

SYLVESTER.

Den Edelen, der nicht einmal als Herold

Gekommen, der als Freund nur das Geschäft[179]

Betrieb des Friedens, preiszugeben – ihn

Um sich an mir zu rächen, preiszugeben

Dem Volke. –

GERTRUDE.

Nun doch, endlich wirst du ihn

Nicht mehr verkennen?

SYLVESTER.

Ihn hab ich verkannt,

Jeronimus – hab ihn der Mitschuld heute

Geziehen, der sich heut für mich geopfert.

Denn wohl geahndet hat es ihm – mich hielt

Er ab, und ging doch selbst nach Rossitz, der

Nicht sichrer war, als ich. –

GERTRUDE.

Konnt er denn anders?

Denn weil du Rupert stets mit blinder Neigung

Hast freigesprochen, ja sogar gezürnt,

Wenn man es nur gewagt ihm zu mißtraun,

So mußt er freilich zu ihm gehen. –

SYLVESTER.

Nun,

Beruh'ge dich – fortan kein anderes

Gefühl als nur der Rache will ich kennen,

Und wie ich duldend einer Wolke gleich,

Ihm lange überm Haupt geschwebt, so fahr

Ich einem Blitze gleich jetzt über ihn.

THEISTINER tritt auf.

Hier bin ich wieder, Herr, von meinem Zuge

Und bringe gleich die fünf Vasallen mit.

SYLVESTER wendet sich schnell.

Wo sind sie?

THEISTINER.

Unten in dem Saale. Drei,

Der Manso, Vitina, Paratzin, haben

Auf ihren Kopf ein dreißig Männer gleich

Nach Warwand mitgebracht.

SYLVESTER.

Ein dreißig Männer?

– Ein ungesprochner Wunsch ist mir erfüllt.

– Laßt mich allein ihr Weiber.


Die Weiber ab.


Wenn sie so[180]

Ergeben sich erweisen, sind sie wohl

Gestimmt, daß man sie schleunig brauchen kann?

THEISTINER.

Wie den gespannten Bogen, Herr; der Mord

Jeromes hat ganz wütend sie gemacht.

SYLVESTER.

So wollen wir die Witterung benutzen.

Er will nach meinem Haupte greifen, will

Es – nun, so greif ich schnell nach seinem. Dreißig

Sagst du, sind eben eingerückt, ein Zwanzig

Bring ich zusammen, das ist mit dem Geiste,

Der mit uns geht, ein Heer – Theistin, was meinst du?

Noch diese Nacht will ich nach Rossitz.

THEISTINER.

Herr,

Gib mir ein Funfzehn von dem Trupp, spreng ich

Die Tore selbst und öffne dir den Weg.

Ich kenn das Nest als wär's ein Dachsloch – noch

Erwarten sie von uns nichts Böses, ich

Beschwör's, die sieben Bürger halten Wache

Noch, wie in Friedenszeiten.

SYLVESTER.

So bleibt's dabei.

Du nimmst den Vortrab. Wenn es finster, brechen

Wir auf. Den ersten Zugang überrumpelst

Du, selber folg ich auf dem Fuße, bei

Jeromes Leiche sehen wir uns wieder.

Ich will ihm eine Totenfeier halten,

Und Rossitz soll wie Fackeln sie beleuchten.

Nun fort zu den Vasallen.


Beide ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 178-181.
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