[309] Hermann und Thusnelda.
HERMANN nimmt einen Brief aus dem Busen.
Nun, Thuschen, komm; ich hab dir was zu sagen.
THUSNELDA ängstlich.
Sag, liebster Freund, um 's Himmelswillen,
Welch ein Gerücht läuft durch den Lagerplatz?
Ganz Teutoburg ist voll, es würd, in wenig Stunden,
Dem Crassus, der Kohorten Führer,
Ein fürchterliches Blutgericht ergehn!
Dem Tode, wär die ganze Schar geweiht,
Die als Besatzung hier zurückgeblieben.
HERMANN.
Ja! Kind, die Sach hat ihre Richtigkeit.
Ich warte nur auf Astolf noch,
Deshalb gemeßne Ordre ihm zu geben.
Sobald ich Varus' Heer, beim Strahl des nächsten Tages,
Im Teutoburger Wald erreicht,
Bricht Astolf hier im Ort dem Crassus los;
Die ganze Brut, die in den Leib Germaniens
Sich eingefilzt, wie ein Insektenschwarm,
Muß durch das Schwert der Rache jetzo sterben.
THUSNELDA.
Entsetzlich! – Was für Gründe, sag mir,
Hat dein Gemüt, so grimmig zu verfahren?
HERMANN.
Das muß ich dir ein andermal erzählen.
THUSNELDA.
Crassus, mein liebster Freund, mit allen Römern –?
HERMANN.
Mit allen, Kind; nicht einer bleibt am Leben!
Vom Kampf, mein Thuschen, übrigens,
Der hier im Ort gekämpft wird werden,
Hast du auch nicht das mindeste zu fürchten;
Denn Astolf ist dreimal so stark, als Crassus;
Und überdies noch bleibt ein eigner Kriegerhaufen,
Zum Schutze dir, bei diesem Zelt zurück.[309]
THUSNELDA.
Crassus? Nein, sag mir an! Mit allen Römern –?
Die Guten mit den Schlechten, rücksichtslos?
HERMANN.
Die Guten mit den Schlechten. – Was! Die Guten!
Das sind die Schlechtesten! Der Rache Keil
Soll sie zuerst, vor allen andern, treffen!
THUSNELDA.
Zuerst! Unmenschlicher! Wie mancher ist,
Dem wirklich Dankbarkeit du schuldig bist –?
HERMANN.
– Daß ich nicht wüßte! Wem?
THUSNELDA.
Das fragst du noch!
HERMANN.
Nein, in der Tat, du hörst; ich weiß von nichts.
Nenn einen Namen mir?
THUSNELDA.
Dir einen Namen!
So mancher einzelne, der, in den Plätzen,
Auf Ordnung hielt, das Eigentum beschützt –
HERMANN.
Beschützt! Du bist nicht klug! Das taten sie,
Es um so besser unter sich zu teilen.
THUSNELDA mit steigender Angst.
Du Unbarmherz'ger! Ungeheuerster!
– So hätt auch der Centurio,
Der, bei dem Brande in Thuiskon jüngst
Die Heldentat getan, dir kein Gefühl entlockt?
HERMANN.
Nein – Was für ein Centurio?
THUSNELDA.
Nicht? Nicht?
Der junge Held, der, mit Gefahr des Lebens,
Das Kind, auf seiner Mutter Ruf,
Dem Tod der Flammen mutig jüngst entrissen? –
Er hätte kein Gefühl der Liebe dir entlockt?
HERMANN glühend.
Er sei verflucht, wenn er mir das getan!
Er hat, auf einen Augenblick,
Mein Herz veruntreut, zum Verräter
An Deutschlands großer Sache mich gemacht!
Warum setzt' er Thuiskon mir in Brand?
Ich will die höhnische Dämonenbrut nicht lieben!
Solang sie in Germanien trotzt,
Ist Haß mein Amt und meine Tugend Rache!
THUSNELDA weinend.
Mein liebster, bester Herzens-Hermann,[310]
Ich bitte dich um des Ventidius Leben!
Das eine Haupt nimmst du von deiner Rache aus!
Laß, ich beschwöre dich, laß mich ihm heimlich melden,
Was über Varus du verhängt:
Mag er ins Land der Väter rasch sich retten!
HERMANN.
Ventidius? Nun gut. – Ventidius Carbo?
Nun denn, es sei! – Weil es mein Thuschen ist,
Die für ihn bittet, mag er fliehn:
Sein Haupt soll meinem Schwert, so wahr ich lebe,
Um dieser schönen Regung heilig sein!
THUSNELDA sie küßt seine Hand.
O Hermann! Ist es wirklich wahr? O Hermann!
Du schenkst sein Leben mir?
HERMANN.
Du hörst. Ich schenk's ihm.
Sobald der Morgen angebrochen,
Steckst du zwei Wort ihm heimlich zu,
Er möchte gleich sich übern Rheinstrom retten;
Du kannst ihm Pferd' aus meinen Ställen schicken,
Daß er den Tagesstrahl nicht mehr erschaut.
THUSNELDA.
O Liebster mein! Wie rührst du mich! O Liebster!
HERMANN.
Doch eher nicht, hörst du, das bitt ich sehr,
Als bis der Morgen angebrochen!
Eh auch mit Mienen nicht verrätst du dich!
Denn alle andern müssen unerbittlich,
Die schändlichen Tyrannenknechte, sterben:
Der Anschlag darf nicht etwa durch ihn scheitern!
THUSNELDA indem sie sich die Tränen trocknet.
Nein, nein; ich schwör's dir zu! Kurz vor der Sonn erst!
Kurz vor der Sonn erst soll er es erfahren!
HERMANN.
So, wenn der Mond entweicht. Nicht eh, nicht später.
THUSNELDA.
Und daß der Jüngling auch nicht etwa,
Der törichte, um dieses Briefs,
Mit einem falschen Wahn sich schmeichele,
Will ich den Brief in deinem Namen schreiben;
Ich will, mit einem höhn'schen Wort ihm sagen:[311]
Bestimmt wär er, die Post vom Untergang des Varus
Nach Rom, an seinen Kaiserhof, zu bringen!
HERMANN heiter.
Das tu. Das ist sehr klug. – Sieh da, mein schönes Thuschen!
Ich muß dich küssen. –
Doch, was ich sagen wollte – –
Hier ist die Locke wieder, schau,
Die er dir jüngst vom Scheitel abgelöst,
Sie war, als eine Probe deiner Haare,
Schon auf dem Weg nach Rom; jedoch ein Schütze bringt,
Der in den Sand den Boten streckte,
Sie wieder in die Hände mir zurück.
Er gibt ihr den Brief, worin die Locke eingeschlagen.
THUSNELDA indem sie den Brief entfaltet.
Die Lock? O was! Um die ich ihn verklagt?
HERMANN.
Dieselbe, ja!
THUSNELDA.
Sieh da! Wo kommt sie her?
Du hast sie dem Arkadier abgefordert?
HERMANN.
Ich? O behüte!
THUSNELDA.
Nicht? – Ward sie gefunden?
HERMANN.
Gefunden, ja, in einem Brief, du siehst,
Den er nach Rom hin, gestern früh,
An Livia, seine Kaisrin, abgefertigt.
THUSNELDA.
In einem Brief? An Kaiserin Livia?
HERMANN.
Ja, lies die Aufschrift nur. Du hältst den Brief.
Indem er mit dem Finger zeigt.
»An Livia, Roms große Kaiserin.«
THUSNELDA.
Nun? Und?
HERMANN.
Nun? Und?
THUSNELDA.
– Freund, ich versteh kein Wort!
– Wie kamst du zu dem Brief? Wer gab ihn dir?
HERMANN.
Ein Zufall, Thuschen, hab ich schon gesagt!
Der Brief, mit vielen andern noch,
Ward einem Boten abgejagt,
Der nach Italien ihn bringen sollte.[312]
Den Boten warf ein guter Pfeilschuß nieder,
Und sein Paket, worin die Locke,
Hat mir der Schütze eben überbracht.
THUSNELDA.
Das ist ja seltsam, das, so wahr ich lebe! –
Was sagt Ventidius denn darin?
HERMANN.
Er sagt –:
Laß sehn! Ich überflog ihn nur. Was sagt er?
Er guckt mit hinein.
THUSNELDA liest.
»Varus, o Herrscherin, steht, mit den Legionen,
Nun in Cheruska siegreich da;
Cheruska, faß mich wohl, der Heimat jener Locken,
Wie Gold so hell und weich wie Seide,
Die dir der heitre Markt von Rom verkauft.
Nun bin ich jenes Wortes eingedenk,
Das deinem schönen Mund, du weißt,
Als ich zuletzt dich sah, im Scherz entfiel.
Hier schick ich von dem Haar, das ich dir zugedacht,
Und das sogleich, wenn Hermann sinkt,
Die Schere für dich ernten wird,
Dir eine Probe zu, mir klug verschafft;
Beim Styx! so legt's am Kapitol,
Phaon, der Krämer, dir nicht vor:
Es ist vom Haupt der ersten Frau des Reichs,
Vom Haupt der Fürstin selber der Cherusker!«
– Ei der Verfluchte!
Sie sieht Hermann an, und wieder in den Brief hinein.
Nein, ich las wohl falsch?
HERMANN.
Was?
THUSNELDA.
Was!
HERMANN.
– Steht's anders in dem Briefe da?
Er sagt –:
THUSNELDA.
»Hier schick ich von dem Haar«, sagt er,
»Das ich dir zugedacht, und das sogleich,
Wenn Hermann sinkt – die Schere für dich ernten wird –«
Die Sprache geht ihr aus.
[313]
HERMANN.
Nun ja; er will –! Verstehst du's nicht?
THUSNELDA.
Sie wirft sich auf einen Sessel nieder.
O Hertha! Nun mag ich diese Sonne nicht mehr sehn.
Sie verbirgt ihr Haupt.
HERMANN leise, flüsternd.
Thuschen! Thuschen! Er ist ja noch nicht fort.
Er folgt ihr und ergreift ihre Hand.
THUSNELDA.
Geh, laß mich sein.
HERMANN beugt sich ganz über sie.
Heut, wenn die Nacht sinkt, Thuschen,
Schlägt dir der Rache süße Stunde ja!
THUSNELDA.
Geh, geh, ich bitte dich! Verhaßt ist alles,
Die Welt mir, du mir, ich: laß mich allein!
HERMANN er fällt vor ihr nieder.
Thuschen! Mein schönes Weib! Wie rührst du mich!
Kriegsmusik draußen.
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