Dreizehnter Auftritt

[61] Penthesilea, Prothoe, Achilles, Gefolge von Griechen und Amazonen.


ACHILLES indem er der Königin die Rüstung öffnet.

Sie lebt nicht mehr.

PROTHOE.

O möcht ihr Auge sich

Für immer diesem öden Licht verschließen!

Ich fürchte nur zu sehr, daß sie erwacht.

ACHILLES.

Wo traf ich sie?

PROTHOE.

Sie raffte von dem Stoß sich,[61]

Der ihr die Brust zerriß, gewaltsam auf;

Hier führten wir die Wankende heran,

Und diesen Fels just wollten wir erklimmen.

Doch sei's der Glieder, der verwundeten,

Sei's der verletzten Seele Schmerz: sie konnte,

Daß sie im Kampf gesunken dir, nicht tragen;

Der Fuß versagte brechend ihr den Dienst,

Und Irrgeschwätz von bleichen Lippen sendend,

Fiel sie zum zweitenmal mir in den Arm.

ACHILLES.

Sie zuckte – sahst du es?

PROTHOE.

Ihr Himmlischen!

So hat sie noch den Kelch nicht ausgeleert?

Seht, o die Jammervolle, seht –

ACHILLES.

Sie atmet.

PROTHOE.

Pelide! Wenn du das Erbarmen kennst,

Wenn ein Gefühl den Busen dir bewegt,

Wenn du sie töten nicht, in Wahnsinn völlig

Die Leichtgereizte nicht verstricken willst,

So gönne eine Bitte mir.

ACHILLES.

Sprich rasch!

PROTHOE.

Entferne dich! Tritt, du Vortrefflicher,

Tritt aus dem Antlitz ihr, wenn sie erwacht.

Entrück ihr gleich die Schar, die dich umsteht,

Und laß, bevor die Sonne sich erneut,

Fern auf der Berge Duft, ihr niemand nahn,

Der sie begrüßte, mit dem Todeswort:

Du bist die Kriegsgefangene Achills.

ACHILLES.

So haßt sie mich?

PROTHOE.

O frage nicht, Großherz'ger! –

Wenn sie jetzt freudig an der Hoffnung Hand

Ins Leben wiederkehrt, so sei der Sieger

Das erste nicht, das freudlos ihr begegnet.

Wie manches regt sich in der Brust der Frauen,

Das für das Licht des Tages nicht gemacht.

Muß sie zuletzt, wie ihr Verhängnis will,

Als die Gefangne schmerzlich dich begrüßen,[62]

So fordr'es früher nicht, beschwör ich dich!

Als bis ihr Geist dazu gerüstet steht.

ACHILLES.

Mein Will ist, ihr zu tun, muß ich dir sagen,

Wie ich dem stolzen Sohn des Priam tat.

PROTHOE.

Wie, du Entsetzlicher!

ACHILLES.

– Fürchtet sie dies?

PROTHOE.

Du willst das Namenlos' an ihr vollstrecken?

Hier diesen jungen Leib, du Mensch voll Greuel,

Geschmückt mit Reizen, wie ein Kind mit Blumen,

Du willst ihn schändlich, einer Leiche gleich –?

ACHILLES.

Sag ihr, daß ich sie liebe.

PROTHOE.

Wie? – Was war das?

ACHILLES.

Beim Himmel, wie! Wie Männer Weiber lieben;

Keusch und das Herz voll Sehnsucht doch, in Unschuld,

Und mit der Lust doch, sie darum zu bringen.

Ich will zu meiner Königin sie machen.

PROTHOE.

Ihr ew'gen Götter, sag das noch einmal.

– Du willst?

ACHILLES.

Kann ich nun bleiben?

PROTHOE.

O so laß

Mich deine Füße küssen, Göttlicher!

O jetzt, wärst du nicht hier, jetzt sucht ich dich,

Und müßt's an Herkuls Säulen sein, Pelide! –

Doch sieh: sie schlägt die Augen auf –

ACHILLES.

Sie regt sich –

PROTHOE.

Jetzt gilt's! Ihr Männer, fort von hier; und du

Rasch hinter diese Eiche berge dich!

ACHILLES.

Fort, meine Freunde! Tretet ab.


Das Gefolge des Achills ab.


PROTHOE zu Achill, der sich hinter die Eiche stellt.

Noch tiefer!

Und eher nicht, beschwör ich dich, erscheine,

Als bis mein Wort dich ruft. Versprichst du mir: –

Es läßt sich ihre Seele nicht berechnen.

ACHILLES.

Es soll geschehn.

PROTHOE.

Nun denn, so merk jetzt auf![63]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 61-64.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
Penthesilea
Penthesilea: Ein Trauerspiel. Studienausgabe
Penthesilea: Ein Trauerspiel
Penthesilea: Ein Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 2. Dramen 1808-1811. Penthesilea / Das Käthchen von Heilbronn / Die Herrmannsschlacht / Prinz Friedrich von Homburg

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon