Dreiundzwanzigster Auftritt

[103] Meroe tritt auf. Die Vorigen.


MEROE.

O ihr, der Diana heil'ge Priesterinnen,

Und ihr, Mars' reine Töchter, hört mich an:

Die afrikanische Gorgone bin ich,

Und wie ihr steht, zu Steinen starr ich euch.

DIE OBERPRIESTERIN.

Sprich, Gräßliche! was ist geschehn?

MEROE.

Ihr wißt,

Sie zog dem Jüngling, den sie liebt, entgegen,

Sie, die fortan kein Name nennt –

In der Verwirrung ihrer jungen Sinne,

Den Wunsch, den glühenden, ihn zu besitzen,

Mit allen Schrecknissen der Waffen rüstend.

Von Hunden rings umheult und Elefanten,

Kam sie daher, den Bogen in der Hand:

Der Krieg, der unter Bürgern rast, wenn er,

Die blutumtriefte Graungestalt, einher,

Mit weiten Schritten des Entsetzens geht,

Die Fackel über blühnde Städte schwingend,

Er sieht so wild und scheußlich nicht, als sie.

Achilleus, der, wie man im Heer versichert,

Sie bloß ins Feld gerufen, um freiwillig

Im Kampf, der junge Tor, ihr zu erliegen:

Denn er auch, o wie mächtig sind die Götter!

Er liebte sie, gerührt von ihrer Jugend,

Zu Dianas Tempel folgen wollt er ihr:

Er naht sich ihr, voll süßer Ahndungen,[103]

Und läßt die Freunde hinter sich zurück.

Doch jetzt, da sie mit solchen Greulnissen

Auf ihn herangrollt, ihn, der nur zum Schein

Mit einem Spieß sich arglos ausgerüstet:

Stutzt er, und dreht den schlanken Hals, und horcht,

Und eilt entsetzt, und stutzt, und eilet wieder:

Gleich einem jungen Reh, das im Geklüft

Fern das Gebrüll des grimmen Leun vernimmt.

Er ruft: Odysseus! mit beklemmter Stimme,

Und sieht sich schüchtern um, und ruft: Tydide!

Und will zurück noch zu den Freunden fliehn;

Und steht, von einer Schar schon abgeschnitten,

Und hebt die Händ empor, und duckt und birgt

In eine Fichte sich, der Unglücksel'ge,

Die schwer mit dunkeln Zweigen niederhangt. –

Inzwischen schritt die Königin heran,

Die Doggen hinter ihr, Gebirg und Wald

Hochher, gleich einem Jäger, überschauend;

Und da er eben, die Gezweige öffnend,

Zu ihren Füßen niedersinken will:

Ha! sein Geweih verrät den Hirsch, ruft sie,

Und spannt mit Kraft der Rasenden, sogleich

Den Bogen an, daß sich die Enden küssen,

Und hebt den Bogen auf und zielt und schießt,

Und jagt den Pfeil ihm durch den Hals; er stürzt:

Ein Siegsgeschrei schallt roh im Volk empor.

Jetzt gleichwohl lebt der Ärmste noch der Menschen,

Den Pfeil, den weit vorragenden, im Nacken,

Hebt er sich röchelnd auf, und überschlägt sich,

Und hebt sich wiederum und will entfliehn;

Doch, hetz! schon ruft sie: Tigris! hetz, Leäne!.

Hetz, Sphinx! Melampus! Dirke! Hetz, Hyrkaon!

Und stürzt – stürzt mit der ganzen Meut, o Diana!

Sich über ihn, und reißt – reißt ihn beim Helmbusch,

Gleich einer Hündin, Hunden beigesellt,

Der greift die Brust ihm, dieser greift den Nacken,[104]

Daß von dem Fall der Boden bebt, ihn nieder!

Er, in dem Purpur seines Bluts sich wälzend,

Rührt ihre sanfte Wange an, und ruft:

Penthesilea! meine Braut! was tust du?

Ist dies das Rosenfest, das du versprachst?

Doch sie – die Löwin hätte ihn gehört,

Die hungrige, die wild nach Raub umher,

Auf öden Schneegefilden heulend treibt;

Sie schlägt, die Rüstung ihm vom Leibe reißend,

Den Zahn schlägt sie in seine weiße Brust,

Sie und die Hunde, die wetteifernden,

Oxus und Sphinx den Zahn in seine rechte,

In seine linke sie; als ich erschien,

Troff Blut von Mund und Händen ihr herab.


Pause voll Entsetzen.


Vernahmt ihr mich, ihr Fraun, wohlan, so redet,

Und gebt ein Zeichen eures Lebens mir.


Pause.


DIE ERSTE PRIESTERIN am Busen der zweiten weinend.

Solch eine Jungfrau, Hermia! So sittsam!

In jeder Kunst der Hände so geschickt!

So reizend, wenn sie tanzte, wenn sie sang!

So voll Verstand und Würd und Grazie!

DIE OBERPRIESTERIN.

O die gebar Otrere nicht! Die Gorgo

Hat im Palast der Hauptstadt sie gezeugt!

DIE ERSTE PRIESTERIN fortfahrend.

Sie war wie von der Nachtigall geboren,

Die um den Tempel der Diana wohnt.

Gewiegt im Eichenwipfel saß sie da,

Und flötete, und schmetterte, und flötete,

Die stille Nacht durch, daß der Wandrer horchte,

Und fern die Brust ihm von Gefühlen schwoll.

Sie trat den Wurm nicht, den gesprenkelten,

Der unter ihrer Füße Sohle spielte,[105]

Den Pfeil, der eines Ebers Busen traf,

Rief sie zurück, es hätte sie sein Auge,

Im Tod gebrochen, ganz zerschmelzt in Reue,

Auf Knieen vor ihn niederziehen können!


Pause.


MEROE.

Jetzt steht sie lautlos da, die Grauenvolle,

Bei seiner Leich, umschnüffelt von der Meute,

Und blicket starr, als wär's ein leeres Blatt,

Den Bogen siegreich auf der Schulter tragend,

In das Unendliche hinaus, und schweigt.

Wir fragen mit gesträubten Haaren, sie,

Was sie getan? Sie schweigt. Ob sie uns kenne?

Sie schweigt. Ob sie uns folgen will? Sie schweigt.

Entsetzen griff mich, und ich floh zu euch.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 103-106.
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