|
[18] Der Hauptmann. Eine Schar von Griechen, welche währenddessen einen Hügel bestiegen haben.
EIN MYRMIDONIER in die Gegend schauend.
Seht! Steigt dort über jenes Berges Rücken,
Ein Haupt nicht, ein bewaffnetes, empor?
Ein Helm, von Federbüschen überschattet?
Der Nacken schon, der mächt'ge, der es trägt?
Die Schultern auch, die Arme, stahlumglänzt?
Das ganze Brustgebild, o seht doch, Freunde,
Bis wo den Leib der goldne Gurt umschließt?
DER HAUPTMANN.
Ha! Wessen!
DER MYRMIDONIER.
Wessen! Träum ich, ihr Argiver?
Die Häupter sieht man schon, geschmückt mit Blessen,
Des Roßgespanns! Nur noch die Schenkel sind,
Die Hufen, von der Höhe Rand bedeckt!
Jetzt, auf dem Horizonte, steht das ganze
Kriegsfahrzeug da! So geht die Sonne prachtvoll
An einem heitern Frühlingstage auf!
DIE GRIECHEN.
Triumph! Achilleus ist's! Der Göttersohn!
Selbst die Quadriga führet er heran!
Er ist gerettet!
DER HAUPTMANN.
Ihr Olympischen!
So sei euch ew'ger Ruhm gegönnt! – Odysseus!
– Flieg einer den argol'schen Fürsten nach!
Ein Grieche schnell ab.
Naht er sich uns, ihr Danaer?[18]
DER MYRMIDONIER.
O sieh!
DER HAUPTMANN.
Was gibt's?
DER MYRMIDONIER.
O mir vergeht der Atem, Hauptmann!
DER HAUPTMANN.
So rede, sprich!
DER MYRMIDONIER.
Oh, wie er mit der Linken
Vor über seiner Rosse Rücken geht!
Wie er die Geißel umschwingt über sie!
Wie sie von ihrem bloßen Klang erregt,
Der Erde Grund, die göttlichen, zerstampfen!
Am Zügel ziehn sie, beim Lebendigen,
Mit ihrer Schlünde Dampf, das Fahrzeug fort!
Gehetzter Hirsche Flug ist schneller nicht!
Der Blick drängt unzerknickt sich durch die Räder,
Zur Scheibe fliegend eingedreht, nicht hin!
EIN ÄTOLIER.
Doch hinter ihm –
DER HAUPTMANN.
Was?
DER MYRMIDONIER.
An des Berges Saum –
DER ÄTOLIER.
Staub –
DER MYRMIDONIER.
Staub aufqualmend, wie Gewitterwolken:
Und, wie der Blitz vorzuckt –
DER ÄTOLIER.
Ihr ew'gen Götter!
DER MYRMIDONIER.
Penthesilea.
DER HAUPTMANN.
Wer?
DER ÄTOLIER.
Die Königin! –
Ihm auf dem Fuß, dem Peleïden, schon
Mit ihrem ganzen Troß von Weibern folgend.
DER HAUPTMANN.
Die rasende Megär!
DIE GRIECHEN rufend.
Hieher der Lauf!
Hieher den Lauf, du Göttlicher, gerichtet!
Auf uns den Lauf!
DER ÄTOLIER.
Seht! wie sie mit den Schenkeln
Des Tigers Leib inbrünstiglich umarmt!
Wie sie, bis auf die Mähn herabgebeugt,
Hinweg die Luft trinkt lechzend, die sie hemmt![19]
Sie fliegt, wie von der Senne abgeschossen:
Numid'sche Pfeile sind nicht hurtiger!
Das Heer bleibt keuchend, hinter ihr, wie Köter,
Wenn sich ganz aus die Dogge streckt, zurück!
Kaum daß ihr Federbusch ihr folgen kann!
DER HAUPTMANN.
So naht sie ihm?
EIN DOLOPER.
Naht ihm!
DER MYRMIDONIER.
Naht ihm noch nicht!
DER DOLOPER.
Naht ihm, ihr Danaer! Mit jedem Hufschlag,
Schlingt sie, wie hungerheiß, ein Stück des Weges,
Der sie von dem Peliden trennt, hinunter!
DER MYRMIDONIER.
Bei allen hohen Göttern, die uns schützen!
Sie wächst zu seiner Größe schon heran!
Sie atmet schon, zurückgeführt vom Winde,
Den Staub, den säumend seine Fahrt erregt!
Der rasche Zelter wirft, auf dem sie reitet,
Erdschollen, aufgewühlt von seiner Flucht,
Schon in die Muschel seines Wagens hin!
DER ÄTOLIER.
Und jetzt – der Übermüt'ge! Rasende!
Er lenkt im Bogen spielend noch! Gib acht:
Die Amazone wird die Sehne nehmen.
Siehst du? Sie schneidet ihm den Lauf –
DER MYRMIDONIER.
Hilf! Zeus!
An seiner Seite fliegt sie schon! Ihr Schatten,
Groß, wie ein Riese, in der Morgensonne,
Erschlägt ihn schon!
DER ÄTOLIER.
Doch jetzt urplötzlich reißt er –
DER DOLOPER.
Das ganze Roßgeschwader reißt er plötzlich
Zur Seit herum!
DER ÄTOLIER.
Zu uns her fliegt er wieder!
DER MYRMIDONIER.
Ha! Der Verschlagne! Er betrog sie –
DER DOLOPER.
Hui!
Wie sie, die Unaufhaltsame, vorbei
Schießt an dem Fuhrwerk –[20]
DER MYRMIDONIER.
Prellt, im Sattel fliegt,
Und stolpert –
DER DOLOPER.
Stürzt!
DER HAUPTMANN.
Was?
DER MYRMIDONIER.
Stürzt, die Königin!
Und eine Jungfrau blindhin über sie –
DER DOLOPER.
Und eine noch –
DER MYRMIDONIER.
Und wieder –
DER DOLOPER.
Und noch eine –
DER HAUPTMANN.
Ha! Stürzen, Freunde?
DER DOLOPER.
Stürzen –
DER MYRMIDONIER.
Stürzen, Hauptmann,
Wie in der Feueresse eingeschmelzt,
Zum Haufen, Roß und Reutrinnen, zusammen!
DER HAUPTMANN.
Daß sie zu Asche würden!
DER DOLOPER.
Staub ringsum,
Vom Glanz der Rüstungen durchzuckt und Waffen:
Das Aug erkennt nichts mehr, wie scharf es sieht.
Ein Knäuel, ein verworrener, von Jungfraun,
Durchwebt von Rossen bunt: das Chaos war,
Das erst', aus dem die Welt sprang, deutlicher.
DER ÄTOLIER.
Doch jetzt – ein Wind erhebt sich;
Tag wird es, Und eine der Gestürzten rafft sich auf.
DER DOLOPER.
Ha! Wie sich das Gewimmel lustig regt!
Wie sie die Spieße sich, die Helme, suchen,
Die weithin auf das Feld geschleuderten!
DER MYRMIDONIER.
Drei Rosse noch, und eine Reuterin, liegen
Gestreckt wie tot –
DER HAUPTMANN.
Ist das die Königin?
DER ÄTOLIER.
Penthesilea, fragst du?
DER MYRMIDONIER.
Ob's die Königin?
– Daß mir den Dienst die Augen weigerten!
Dort steht sie!
DER DOLOPER.
Wo?[21]
DER HAUPTMANN.
Nein, sprich!
DER MYRMIDONIER.
Dort, beim Kroniden,
Wo sie gestürzt: in jener Eiche Schatten!
An ihres Pferdes Nacken hält sie sich,
Das Haupt entblößt – seht ihr den Helm am Boden?
Die Locken schwachhin mit der Rechten greifend,
Wischt sie, ist's Staub, ist's Blut, sich von der Stirn.
DER DOLOPER.
Bei Gott, sie ist's!
DER HAUPTMANN.
Die Unverwüstliche!
DER ÄTOLIER.
Die Katze, die so stürzt, verreckt; nicht sie!
DER HAUPTMANN.
Und der Pelid?
DER DOLOPER.
Ihn schützen alle Götter!
Um drei Pfeilschüsse flog er fort und drüber!
Kaum mehr mit Blicken kann sie ihn erreichen,
Und der Gedanke selbst, der strebende,
Macht ihr im atemlosen Busen halt!
DER MYRMIDONIER.
Triumph! Dort tritt Odysseus jetzt hervor!
Das ganze Griechenheer, im Strahl der Sonne,
Tritt plötzlich aus des Waldes Nacht hervor!
DER HAUPTMANN.
Odyß? Und Diomed auch? O ihr Götter!
– Wie weit noch in dem Feld ist er zurück?
DER DOLOPER.
Kaum einen Steinwurf, Hauptmann! Sein Gespann
Fliegt auf die Höhen am Skamandros schon,
Wo sich das Heer raschhin am Rande ordnet.
Die Reihn schon wettert er entlang –
STIMMEN aus der Ferne.
Heil dir!
DER DOLOPER.
Sie rufen, die Argiver, ihm –
STIMMEN.
Heil dir!
Achill! Heil dir, Pelide! Göttersohn!
Heil dir! Heil dir! Heil dir!
DER DOLOPER.
Er hemmt den Lauf!
Vor den versammelten Argiverfürsten
Hemmt er den Lauf! Odysseus naht sich ihm![22]
Vom Sitz springt er, der Staubbedeckte, nieder!
Die Zügel gibt er weg! Er wendet sich!
Er nimmt den Helm ab, der sein Haupt beschwert!
Und alle Könige umringen ihn!
Die Griechen reißen ihn, die jauchzenden,
Um seine Kniee wimmelnd, mit sich fort:
Indes Automedon die Rosse schrittweis,
Die dampfenden, an seiner Seite führt!
Hier wälzt der ganze Jubelzug sich schon
Auf uns heran! Heil dir! du Göttlicher!
O seht doch her, seht her – Da ist er schon!
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
|
Buchempfehlung
Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.
244 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro