Vierter Auftritt

[23] Achilles, ihm folgen Odysseus, Diomedes, Antilochus, Automedon mit der Quadriga ihm zur Seite, das Heer der Griechen.


ODYSSEUS.

Sei mir, Äginerheld, aus heißer Brust

Gegrüßt! Du Sieger auch noch in der Flucht!

Beim Jupiter! Wenn hinter deinem Rücken,

Durch deines Geistes Obmacht über ihren,

In Staub die Feindin stürzt, was wird geschehn,

Wenn's dir gelingt, du Göttlicher, sie einst

Von Angesicht zu Angesicht zu fassen.

ACHILLES er hält den Helm in der Hand und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Zwei Griechen ergreifen, ihm unbewußt, einen seiner Arme, der verwundet ist, und verbinden ihn.

Was ist? Was gibt's?

ANTILOCHUS.

Du hast in einem Kampf

Wetteifernder Geschwindigkeit bestanden,

Neridensohn, wie losgelassene

Gewitterstürm, am Himmelsplane brausend,

Noch der erstaunten Welt ihn nicht gezeigt.

Bei den Erinnyen! Meiner Reue würd ich

Mit deinem flüchtigen Gespann entfliehn,[23]

Hätt ich, des Lebens Gleise schwer durchknarrend,

Die Sünden von der ganzen Trojerburg

Der Muschel meiner Brust auch aufgeladen.

ACHILLES zu den zwei Griechen, welche ihn mit ihrem Geschäft zu belästigen scheinen.

Die Narren.

EIN GRIECHENFÜRST.

Wer?

ACHILLES.

Was neckt ihr –

DER ERSTE GRIECHE der ihm den Arm verbindet.

Halt! Du blutest!

ACHILLES.

Nun ja.

DER ZWEITE GRIECHE.

So steh!

DER ERSTE.

So laß dich auch verbinden.

DER ZWEITE.

Gleich ist's geschehn.

DIOMEDES.

– Es hieß zu Anfang hier,

Der Rückzug meiner Völker habe dich

In diese Flucht gestürzt; beschäftiget

Mit dem Ulyß, den Antiloch zu hören,

Der Botschaft uns von den Atriden brachte,

War ich selbst auf dem Platz nicht gegenwärtig.

Doch alles, was ich sehe, überzeugt mich,

Daß dieser meisterhaften Fahrt ein freier

Entwurf zum Grunde lag. Man könnte fragen,

Ob du bei Tagesanbruch, da wir zum

Gefecht noch allererst uns rüsteten,

Den Feldstein schon gedacht dir, über welchen

Die Königin zusammenstürzen sollte:

So sichern Schrittes, bei den ewigen Göttern,

Hast du zu diesem Stein sie hingeführt.

ODYSSEUS.

Doch jetzt, Doloperheld, wirst du gefällig,

Wenn dich ein anderes nicht besser dünkt,

Mit uns dich ins Argiverlager werfen.

Die Söhne Atreus' rufen uns zurück.

Wir werden mit verstelltem Rückzug sie

In das Skamandrostal zu locken suchen,

Wo Agamemnon aus dem Hinterhalt[24]

In einer Hauptschlacht sie empfangen wird.

Beim Gott des Donners! Nirgends, oder dort

Kühlst du die Brunst dir ab, die, rastlos drängend,

Gleich einem jungen Spießer, dich verfolgt:

Und meinen besten Segen schenk ich dir.

Denn mir ein Greul auch, in den Tod verhaßt,

Schweift die Megäre, unsre Taten störend,

Auf diesem Feld herum, und gern möcht ich,

Gesteh ich dir, die Spur von deinem Fußtritt

Auf ihrer rosenblütnen Wange sehn.

ACHILLES sein Blick fällt auf die Pferde.

Sie schwitzen.

ANTILOCHUS.

Wer?

AUTOMEDON indem er ihre Hälse mit der Hand prüft.

Wie Blei.

ACHILLES.

Gut. Führe sie.

Und wenn die Luft sie abgekühlt! so wasche

Brüst ihnen und der Schenkel Paar mit Wein.

AUTOMEDON.

Man bringt die Schläuche schon.

DIOMEDES.

– Hier siehst du wohl,

Vortrefflicher, daß wir im Nachteil kämpfen.

Bedeckt, so weit das schärfste Auge reicht,

Sind alle Hügel von der Weiber Haufen;

Heuschrecken lassen dichtgeschloßner nicht

Auf eine reife Saatenflur sich nieder.

Wem noch gelang ein Sieg, wie er ihn wünschte?

Ist einer, außer dir, der sagen kann,

Er hab auch die Kentaurin nur gesehn?

Umsonst, daß wir, in goldnen Rüstungen,

Hervor uns drängen, unsern Fürstenstand

Lautschmetternd durch Trompeten ihr verkünden:

Sie rückt nicht aus dem Hintergrund hervor;

Und wer auch fern, vom Windzug hergeführt,

Nur ihre Silberstimme hören wollte,

Müßt eine Schlacht, unrühmlich, zweifelhaft,[25]

Vorher mit losem Kriegsgesindel kämpfen,

Das sie, den Höllenhunden gleich, bewacht.

ACHILLES in die Ferne hinausschauend.

Steht sie noch da?

DIOMEDES.

Du fragst? –

ANTILOCHUS.

Die Königin?

DER HAUPTMANN.

Man sieht nichts – Platz! Die Federbüsch hinweg!

DER GRIECHE der ihm den Arm verbindet.

Halt! Einen Augenblick.

EIN GRIECHENFÜRST.

Dort, allerdings!

DIOMEDES.

Wo?

DER GRIECHENFÜRST.

Bei der Eiche, unter der sie fiel.

Der Helmbusch wallt schon wieder ihr vom Haupte,

Und ihr Mißschicksal scheint verschmerzt. –

DER ERSTE GRIECHE.

Nun endlich!

DER ZWEITE.

Den Arm jetzt magst du, wie du willst, gebrauchen.

DER ERSTE.

Jetzt kannst du gehn.


Die Griechen verknüpfen noch einen Knoten und lassen seinen Arm fahren.


ODYSSEUS.

Hast du gehört, Pelide,

Was wir dir vorgestellt?

ACHILLES.

Mir vorgestellt?

Nein, nichts. Was war's? Was wollt ihr?

ODYSSEUS.

Was wir wollen?

Seltsam. – Wir unterrichteten von den Befehlen

Dich der Atriden! Agamemnon will,

Daß wir sogleich ins Griechenlager kehren;

Den Antiloch sandt er, wenn du ihn siehst,

Mit diesem Schluß des Feldherrnrats uns ab.

Der Kriegsplan ist, die Amazonenkönigin

Herab nach der Dardanerburg zu locken,

Wo sie, in beider Heere Mitte nun,[26]

Von treibenden Verhältnissen gedrängt,

Sich muß, wem sie die Freundin sei, erklären;

Und wir dann, sie erwähle, was sie wolle,

Wir werden wissen mindstens, was zu tun.

Ich traue deiner Klugheit zu, Pelide,

Du folgst der Weisheit dieser Anordnung.

Denn Wahnsinn wär's, bei den Olympischen,

Da dringend uns der Krieg nach Troja ruft,

Mit diesen Jungfraun hier uns einzulassen,

Bevor wir wissen, was sie von uns wollen,

Noch überhaupt nur, ob sie uns was wollen?

ACHILLES indem er sich den Helm wieder aufsetzt.

Kämpft ihr, wie die Verschnittnen, wenn ihr wollt;

Mich einen Mann fühl ich, und diesen Weibern,

Wenn keiner sonst im Heere, will ich stehn!

Ob ihr hier länger, unter kühlen Fichten,

Ohnmächtiger Lust voll, sie umschweift, ob nicht,

Vom Bette fern der Schlacht, die sie umwogt,

Gilt mir gleichviel: beim Styx, ich will'ge drein,

Daß ihr nach Ilium zurücke kehrt.

Was mir die Göttliche begehrt, das weiß ich;

Brautwerber schickt sie mir, gefiederte,

Genug in Lüften zu, die ihre Wünsche

Mit Todgeflüster in das Ohr mir raunen.

Im Leben keiner Schönen war ich spröd;

Seit mir der Bart gekeimt, ihr lieben Freunde,

Ihr wißt's, zu Willen jeder war ich gern:

Und wenn ich dieser mich gesperrt bis heute,

Beim Zeus, des Donners Gott, geschah's, weil ich

Das Plätzchen unter Büschen noch nicht fand,

Sie ungestört, ganz wie ihr Herz es wünscht,

Auf Küssen heiß von Erz im Arm zu nehmen.

Kurz, geht: ins Griechenlager folg ich euch;

Die Schäferstunde bleibt nicht lang mehr aus:

Doch müßt ich auch durch ganze Monden noch,

Und Jahre, um sie frein: den Wagen dort[27]

Nicht ehr zu meinen Freunden will ich lenken,

Ich schwör's, und Pergamos nicht wiedersehn,

Als bis ich sie zu meiner Braut gemacht,

Und sie, die Stirn bekränzt mit Todeswunden,

Kann durch die Straßen häuptlings mit mir schleifen.

Folgt mir!

EIN GRIECHE tritt auf.

Penthesilea naht sich dir, Pelide!

ACHILLES.

Ich auch. Bestieg sie schon den Perser wieder?

DER GRIECHE.

Noch nicht. Zu Fuße schreitet sie heran,

Doch ihr zur Seite stampft der Perser schon.

ACHILLES.

Wohlan! So schafft mir auch ein Roß, ihr Freunde! –

Folgt, meine tapfern Myrmidonier, mir.


Das Heer bricht auf.


ANTILOCHUS.

Der Rasende!

ODYSSEUS.

Nun, so versuche doch

Jetzt deine Rednerkunst, o Antiloch!

ANTILOCHUS.

Laßt mit Gewalt uns ihn –

DIOMEDES.

Fort ist er schon!

ODYSSEUS.

Verwünscht sei dieser Amazonenkrieg!


Alle ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 23-28.
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