Dritte Scene.

[92] Faust. Der Fremde.


FAUST indem er hinzustürzt, innehaltend.

Er schläft! – Was ist es denn? Was liegt an ihm?

Ein wildes Thier in seiner Sinne Taumel,


Indem er ihn schaudernd betrachtet.


Entstellt und gräßlich! – Und er sollte schwelgen

Am Lebensquelle, wo ich glühend dürste? –

Er sollte zu dir eilen –


Indem er das Bild betrachtet.


Ha, zu dir!

An diesen Rosenlippen Wonne trinken,

An diese Brust – in diese weichen Arme –


Außer sich.


Die ganze Hölle brennt in meinem Busen!

Das Ungeheuer – ha, hinweg mit ihm!


Er führt einen kräftigen Dolchstoß auf die Brust des Fremden.


FREMDER richtet sich ruhig auf.

Nun denn, was soll's?

FAUST indem er wild einen noch kräftigern Stoß führt.

Hinab mit dir zur Hölle!

FREMDER gelassen.

Das hat noch Zeit! – Was stoßt ihr auf mich ein?[92]

FAUST betäubt zurückstürzend.

Ha, was ist das?

FREMDER wie vorher.

Ermorden wollt ihr mich?

FAUST ihn anstarrend, indem der Dolch seiner Hand entsinkt.

Das ist –

FREMDER einfallend.

Unmöglich Ding, mein guter Freund!

Seht, ich bin fest – vor Hieb und Schuß und Stich;

Auch Gift verschlägt mir nichts – ich kann's genießen,

Und trinke mich darin oft wieder nüchtern

Von starken Räuschen! –

FAUST faßt sich an die Stirne.

Ha, wo bin ich denn?

FREMDER.

Die Sache kostet freilich nichts Geringes! –


Gelassen fragend.


Doch redet mir – was hab' ich euch gethan?

Wir tranken ja ganz friedlich mit einander!

FAUST noch betäubt.

Ich weiß es nicht![93]

FREMDER lächelnd, indem er das Bild in seiner Hand sieht.

Aha! Jetzt merk' ich schon!

Helenens Feueraugen – so, mein Freund? –

Warum ließ ich euch auch das Bildniß schauen;

Hat mir's doch oft schon Händel zugezogen!

FAUST faßt glühend seine Hand.

Ihr liebt sie?

FREMDER.

Pah! Erst kommt der Wein – dann sie!

FAUST.

Ich laß euch schwelgen!

FREMDER.

Sprecht nur bei mir ein!

Ich führe einen ausgesuchten Keller!

FAUST stürmischer.

Ha, fordert alles denn; – ihr kennt mich nicht!

FREMDER mit einem grinsenden Lächeln.

Gilt's hier denn einen Handel um mein Weib?

FAUST betäubt und außer sich.

Beim Teufel![94]

FREMDER.

Ah! das ist ein andres Wort!

Das respectir' ich! –


Nach seiner linken Hand deutend.


Laßt die Hand doch sehen!

Der Schnitt durch's Leben –

FAUST.

Ha!

FREMDER ausrufend.

Wir sind ja Brüder

Des Feuerbundes! –


Hält ihm seine eigene Linke hin.


Mein Mysterium

Dasselbe Stigma! –


Indem er seine Hand gewaltsam faßt.


Wir sind unzertrennlich

In Zeit und Ewigkeit!

FAUST schaudernd, indem er die Hand loszureißen bemüht ist.

Das brennt wie Gluth!

FREMDER.

Ein Weg, Ein Ziel!

FAUST.

Ha, fort, ha, fort – entsetzlich?[95]

FREMDER lächelnd.

Solamen miserum – ihr kennt das Sprichwort!

Das Stigma – seht, deßhalb bin ich auch fest

Und unverletzlich – zeigtet ihr mir's früher,

So stand ich euch, dem Feuerbruder, Rede –

Mein Weib betreffend!

FAUST.

Ha!

FREMDER.

Seid nur gelassen!

Ich log die Sache! –


Auf das Bild deutend.


Sie ist unvermählt; –

Mich reizt kein Weib! – Ihr Gatte heiß' ich nur –

Den Preis – vor wilden Stürmern zu beschützen;

Dieweil von hohem Stamme sie entsprossen,

Doch aus der linken Seite – ihr versteht mich? –

Dem Feuerbruder kann ich nichts verhelen; –

Ich selbst bin nur ihr Führer und Begleiter!

FAUST außer sich.

Ist's möglich!?

FREMDER.

Ja, sie ist noch eine Knospe,[96]

Dem Heißgeliebten einst sich zu entfalten;

Noch unberührt ist dieser Rosenmund,

Sich nach des ersten Kusses Wonne schnend,

Und diese Schwanenbrust in Liebe wallend,

Ward nie entweiht von einer fremden Lippe!

FAUST glühend.

Beim Himmel denn! – so laß uns hin – zu ihr!

FREMDER schnell und wild.

Ha, Fluch und –


Indem er ihn zurückreißt.


FAUST.

Weh! Was giebt es?

FREMDER.

Hast du nicht

Die Worte abgeschworen – in der Taufe? – –


Heimlich und eindringend.


Du sollst sie sehen – schlummernd hingegossen –

Die Lüfte frei mit ihren Reizen buhlend –

Die Rosenknospe unter Rosen blühend –! –


Tief und leise.


Doch lästere zuvor –!

FAUST sich kühn emporreißend.

Ha, nimmer! – nein!![97]

FREMDER in sich hinein.

Verdammter –!

FAUST heftig.

Was?

FREMDER sehr kalt und lächelnd.

Dein Schicksal sollst du lästern,

Weil schon im Werden dich es von ihr trennte! –

FAUST aufstürmend.

Mich trennen? – ha, sie lebt! Das ist genug! –

Sie zu erschaffen hatt' ich keine Macht!

Doch jetzt sie zu erringen weiß ich Mittel!

Ja, thronte sie hoch auf dem Kaukasus,

Müßt' ich vom Nordpol her sie zu mir bannen –


Heftig und wird.


Ein Wink von mir – es öffnet sich mein Buch –

Wie auch die Zeichen schrecklich sich gestalten –

Ich habe Muth – und mir gehorcht die Hölle!

FREMDER sucht ein unwillkührliches Gransen zu verbergen.

Genug – – laß das bewenden!


Er blickt ihn mit heimlicher Wildheit an.


FAUST sieht ihn kühn an.

Du bist furchtsam? –[98]

Dich schrecken noch die wild verschlungnen Zeichen? –


Rasch.


Soll ich beherzt dich machen!?

FREMDER drängt ihn bebend zurück.

Halte ein! –

Ist es doch hier an einem Wink genug;

Beweg die Hand, und wir sind schon am Ziele!

FAUST mit Bedeutung.

Ihr reis't auf meine Weise?

FREMDER lächelnd.

Nun – versteht sich! –

Mein Roß ist nur ein Blendwerk für Profane!

FAUST hastig und kühn.

Ha denn, so laß uns auf den Sturmwind schwingen,

In wildem Fluge zu ihr hinzudringen!


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 92-99.
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