[901] Nachtessen.
Geheimderat. Gesandter. Gesandtin. Franz. von Brand.
GEHEIMDERAT. Sei doch ruhig, Sohn!
GESANDTER. Franz, ich hab's gesehn, wie's in der Welt geht. Laß jetzt deinen Kopf ganz heraus, hier muß laviert sein. Um die Klippen herum ganz leise durchgeschlichen! Stürme du drauflos, und du scheiterst. Es ist gefährlich, auf der offnen See mit einem lechen Kahn zu schiffen, und leider! ist das unsre Lage.
GEHEIMDERAT. Der Gesandte hat recht, Sohn! Was das für ein[901] Elend ist, wenn man so gehen muß. Ist aber nun einmal. Menschheit! Ich hab alles aufgeopfert, und Gott weiß, es ist mir nicht weh drum. Jetzt, wo ich bloß darauf ging, des Fürsten Nutzen zu befördern –
FRANZ. Ich kann nicht zuhören! Machen Sie's zusammen. Ich reit noch diese Nacht weg. Ich will von allem nichts wissen und hören. Blieb' hier, ich stieß' alles nieder.
GEHEIMDERAT. Tollkopf! was wird genutzt? Ha! was wird genutzt? Ich bin alt. Denk, dein Vater ist alt. Soll ich durch deine Unbesonnenheit Ehr und Leben verlieren?
FRANZ. Ruhig, lieber Papa, ich bin's auch, will's sein. Ich versprech Ihnen, von allem nichts zu wissen. Ich will so unwissend ruhig sein –
GEHEIMDERAT. In deinen Jahren war ich auch so, immer mit der Hitze der erste. Ehe ich mich's versah, lag ich.
FRANZ. Alles nach Ihrem Willen, Papa.
GEHEIMDERAT. Nun gut, ich trau dir viel zu, aber nur kälter! Nun, mit der Zeit wird's schon kommen. Was hab ich nicht in der Welt gelitten, Franz, bis ich's so weit bracht, und wär ich nie hingekommen. Hätt ich eine Hacke genommen, dem ersten besten Bauern fürs Taglohn gearbeitet! Was hab ich nun? daß ich meine Kräfte Undankbaren verschwendet, die mich stürzen wollen. Zwanzig Jahr ging alles durch meinen Kopf, mußte allen Freuden des Lebens entsagen, hab geduldet, und dulde noch.
FRANZ. Ich lern's von Ihnen. Und was auch über mich ergehe.
GEHEIMDERAT. Dient's denn zu was, junger Mensch? In der Welt geschieht nichts durch Sprünge. Laß uns gehen, wie rechtschaffne Leute, am Ende muß sich's finden. Was dein Doktor letzt sagte, fällt mir immer ein. »Es war ein breiter Fluß«, sagte er, »saß einer am Ufer, mußte hinüber, und wußte doch nicht hinüberzukommen. Auf dem gegenseitigen Ufer saß ein Poet, sang ihm das Lied vor vom Pegasus, wie der über Berg, See und alles geflohen. Das ärgerte den Kerl. Kam einer zu ihm, sagte: 'Hör, ich will dich hinüberbringen. Ich hab da einen Kahn, er ist zwar lech, ich will dich aber hinbringen.' Der Kerl ruderte, und so kamen sie hin über den Fluß. Er gab dem Mann ein Trinkgeld, schmiß den Poet hinter die Ohren« – und so geht die Welt, junger Herr!
FRANZ. Recht, lieber Vater! Lassen Sie's! Ich war doch so ganz in meinem guten Wesen, da wir zu Tisch gingen.[902]
GEHEIMDERAT. So gefällst du mir am besten.
FRANZ. Wir haben das Essen vergessen.
GESANDTER. Willst du das, Malchen? sag, Liebe, ist nicht wahr, von diesem!
FRANZ. Herr von Brand, trinken Sie doch! Was suchen Sie in dem Teller? Lieber Gott, sein Sie doch munter!
VON BRAND. Kann man's immer sein?
FRANZ. Ich bitt Sie, hängen Sie sich nichts in Kopf! Nehmen Sie den Tag, der andre wird's schon geben, und so immer weiter. Bei Ihren Kräften hat man wahrhaftig nicht nötig, um Fortkommen bekümmert zu sein.
GEHEIMDERAT. Könnt ich's Ihnen doch noch ans Herz legen, Brand, daß Sie duldeten! Sie sehn, es muß gut gehen, soll gut gehen. Sie sind in meinem Haus, alles ist Ihr, wie mein. Haben Sie kein Geld mehr? sagen Sie nur ein Wort, solang ich hab, sollen Sie nicht mangeln.
VON BRAND. Den Bettler im Staatskleide, Herr Geheimderat!
FRANZ. Ihr Stolz ist gut, lieber Brand. Ein Mann muß Stolz haben. Wie wir aber nun zusammen sind, dächt ich, Sie nähmen es anders.
VON BRAND. Aber so immer fort.
GEHEIMDERAT. Bald zu Ende. Der General hat mir versprochen, in einem Monat sollen Sie eine Kompanie haben.
VON BRAND. Versprochen?
GEHEIMDERAT. Sie haben recht, daß Sie das Wort auffangen. Ich kann's auch nicht leiden, brauch's auch nie. Aber ich weiß, er hält Wort, der General. Ist das nichts, so ist's was anders. Nur ruhig, ruhig! Daß man euch nicht genug sagen kann. Nun trinken Sie, Brand, die Grillen weg!
VON BRAND. Halt ich's aus?
GESANDTER. Was machen die Kleinen, Malchen?
GESANDTIN. Sie werden zu Bette sein.
FRANZ. Bring mir die Kinder her, Schwester! Und sollten sie in den Nachthemden kommen. Mein Fränzchen, Liebe, ich muß ihnen adieu sagen.
GESANDTIN. In Nachtkleidern?
FRANZ. Warum denn nicht? Was hat das auf sich! Laß mir meine Kleinen kommen. Du weißt, ich geh diesen Abend noch weg.
GESANDTIN. Da sollt ich's just nicht tun, weil du uns verläßt. Die Julie?[903]
FRANZ. Meinst du? – ich will sie selbst holen.
GESANDTIN. Er ist verliebt.
GEHEIMDERAT. Ist er's?
GESANDTIN. Gewiß.
GEHEIMDERAT. Gut, das wirft ihn wieder ein bißchen herum. Gott erhalt ihn mir! Ich stell ihn gegen den ganzen Hof. Herr Sohn, er hat's ihnen vorgelegt, ich hätt rasend mögen werden für Freude. Da staunten sie, wie Weibsleute, denen der Putz verdorben wird, gafften, und er immer in sie hinein. Mich wundert auch nicht, daß es so gegangen.
GESANDTER. Besonders der Graf.
GEHEIMDERAT. Der machte ihm ein tief Kompliment; und der Teufel sah ihm aus den Augen heraus. Bück du dich, dacht ich, du hast deinen Mann.
GESANDTIN. Soll's von übeln Folgen sein?
GEHEIMDERAT. Mag's!
Franz zwei Kinder tragend.
EINS trippelt nebenher. Trag mich doch auch!
FRANZ. Hier Jungens. Stühl! gib ihnen was, Schwester! Erzähl was, Fränzchen!
FRÄNZCHEN. Guten Abend, Großpapa, Mama, Papa. Andre auch »Guten Abend«.
FRANZ. Schwatz was, Fränzchen.
FRÄNZCHEN. Gib mir erst was! dort vom Brezelchen.
GORG. Mir auch!
GESANDTIN. Komm auf meinen Schoß, Malchen!
FRANZ. Erzähl, Fränzchen!
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