Dritte Szene


[914] Landhaus. Zimmer. Antike Köpfe und Zeichnungen.

Franz einige Bücher vor ihm liegend.


FRANZ. Weg Quark, alles. Der nächste Weg zum Narren zu werden, ist, sich ein System bauen zu wollen. Hab's lang gedacht. Da arbeitet man sich durchs Zeugs, bis man einen auf dem Punkt hat, woraus er das Ding ansieht, das er Weisheit und[914] Wahrheit nennt, glaubt man's ertappt zu haben. – Vom Thron der Weisheit strahlt herab – Was? Weisheit? – Seifenblase, Schaum! Vom Thron der Wahrheit – o ihr hungrigen Poeten, die ihr sie alle mit hellen Farben gemalt, mit dem hellen Glanz der Sonne verguldet und verglichen! Was strahlt sie dann? siehe da, Narrenkappen hellbeleuchtet, Leute gekrönt damit, die Philosophen heißen. – Lieber Gott, da wird doch kein bißchen genutzt. Meinetwegen, ich will kein Buch mehr ansehen. Wenn sie doch dächten, daß es nichts ist mit ihrem Tun, daß Nebel ist, und sein muß um ihr Gehirn; sich nicht alle Kraft, die ihnen etwa der Himmel gegeben, durch fatales Nachdenken über Sachen, von denen sie nichts wissen können, auftrockneten. Laßt mir meinen Shakespeare und Homer. Wir bleiben zusammen bis in Tod. Stellt sich vor einen Kopf des Laokoons, und drauf vors Brustbild der Venus. Mein Laokoon, was hast auch du schon leiden müssen. Jeder Bube schwatzt von dir, und große Leute reden, warum du den Mund auftust? Hätten sie vor dir gestanden mit dem innigsten Gefühl – Venus! Ausdruck der Gottheit, Leben, Weben, alles – es ist ein Augenblick, nur ein Augenblick – da steh ich oben.

LÄUFER. Guten Tag, Franz. Stehst du schon wieder vor deinen Götzen?

FRANZ. Sie sind's nun, meine Götter und Götzen. Bitt dich, laß das Maul heraus! Sieh, du mußt davon nicht reden. Kommst mir just vor, wie die Kerls, die sich dahin stellen, Schönheiten suchen, Ideal, was weiß ich, denn Regeln schreiben, definieren und schwatzen, und das all ohne Gefühl.

LÄUFER. Haben doch auch Sinnen und Herz.

FRANZ. Laß es so! mich ärgert's, wenn ich davon reden hör. Der Künstler hat Sinnen, wovon sie nun niemals gefühlt, noch gehört. Und was denn der mit allen seinen fassenden, durch und durch schauenden Blicken sieht, mit der äußersten Intensivität – doch was red ich dir?

LÄUFER. Mit dir kommt man nicht aus. Da bring ich dir was Neues übern Selbstmord.

FRANZ sieht's an. Wieder eine schöne Prise zum Ärger für mich! Tu's weg. Könnt ich ihnen doch all das Gehirn austreten, die für oder darwider schreiben. Seit die Welt steht, haben sie 's Maul aufgerissen, disputiert und geschmiert, keiner trifft's, kann's treffen. Ach wie wißt ihr, was im Menschen vorgeht zur selben Zeit. Solang er Kraft hat, sich zu soutenieren, bleibt[915] er euch gewiß. Übersteigt sie seine Eitelkeit, Selbstigkeit – das läßt sich nicht angeben. Bedauert ihn, er mußte wohl losreißen. Da liegt's eben, daß sie das Leiden des krümmenden Wurms, in dem sich's peinlich wälzt, nur in der Ferne sehen, denn erst sehen, wenn er schon weg ist. Träten sie näher; sähen's, wie's in ihm arbeitet, denn reif wird – – Unglücklicher, ich hab dir immer nachgeweint, als wärst du mein Bruder.

LÄUFER. Du scheinst's zu verteidigen.

FRANZ. Nimmer. Laß mir meine Kraft!

LÄUFER. Kommst du heute in die Stadt, Julien zu sehen?

FRANZ. Ach sehen. Was das wieder für ein garstig Wort ist.

LÄUFER. Nun so weiß ich auch nicht.

FRANZ. Fühlen, fühlen, da stehen.

LÄUFER. Aber war das nicht? Allen kam's gesucht vor. Stellst dich dahin zwei Stunden, hattest sie nie gesehen, redst kein Wort, bist weg –

FRANZ. Lieber, was könnt ich sagen. Mein Herz war über, da sie kaum die Harfe berührte. Und wie das fortging, die Arie dazu – in mir lag das alles schon vorbereitet. Jeder Ton fand in mir das Echo, hier traf alles hin. Und da wundert ihr euch, daß ich dastund. Was konnt ich reden? Eure Komplimente nachlallen, »o Mademoiselle, göttlich, göttlich«. Ist das was? O wenn sie nicht mehr gefühlt hat, was in mir vorging, wenn sie nicht die Fülle meines Herzens sah bei meinem tiefen Schweigen, wenn ihr Aug nicht entdeckte, was auf meinem Gesicht sich zeichnete –

LÄUFER. Sie hat's. Aber die Leute –

FRANZ. Schon wieder das Hundegeschwätz. Wiegt ihr denn alle ein Wort auf, das sie sagte? ich lauschte und verstund sie. Die Jungens faselten um sie herum, dachten wunder, wie hoch sie stünden, der Franz stund in der Ecke, und hatte die besten Stunden seines Lebens.

LÄUFER. Es hat allenthalben Lärmen gegeben.

FRANZ. Was kümmert mich das. Und wie glücklich! Aus diesem Glas hier, hat sie Wasser getrunken.

LÄUFER. Wie bist denn du dazu gekommen?

FRANZ. Sie trank Wasser, stellte das Glas beiseite, ihr alle um sie herum, und so steckte ich's in die Tasche. Wenn ich aus dem Glas trink.

LÄUFER. Ein schönes Glas.[916]

FRANZ. Nicht wahr, der goldne Schnitt?

LÄUFER. Ob sie dich wiederliebt?

FRANZ. So lieb ich sie, und wenn sie's auch nimmer täte. Ich bin gestraft genug, ich ging aus Eitelkeit mit dir hin, weil du sagtest, es dörfe keiner von Liebe mit ihr reden. Ich wollte die Heldin forschen – aber so dacht ich's nicht. Das heilige Wesen, das sie begleitet. Wenn ich ihr Profil sehe, die Geistesruhe, das Sanfte, Wohlwollende, sie ist ein erstaunendes Wesen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß die Kerls um sie herum sind.

LÄUFER. Geh mit!

FRANZ. Laß mich allein hin! Ich geh zu meinem lieben Doktor in die Stadt, da werd ich oft dasein.

LÄUFER. Ein wunderbarer Mensch, der Doktor.

FRANZ. Den könnt ihr nun wieder alle nicht fassen. Der erste von den Menschen, den ich je gesehen. Der alleinige, mit dem ich sein kann. Läufer, der trägt Sachen in seinem Busen. Die Nachkommen werden staunen, daß je so ein Mensch war.

LÄUFER. Willst du nicht mitgehen?

FRANZ. Allein will ich hingehen. Hör, Läufer, du plauderst gern, und sollte es auch zum Nachteil deiner Freunde sein – nimm dich in acht.

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 914-917.
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