Fünfte Szene


[937] Wirtshaus an der Landstraße.

Von Brand. Blum.


BLUM. Du fällst vom Fleisch; siehst aus, wie ein Totengerippe, fürchterlich – als hättest du im Grabe gelegen. Lieber Brand, du kannst nicht aus der Stelle gehn. Mir blutet das Herz, dich so leiden zu sehn.

VON BRAND. Ach Blum! –

BLUM. Sprich mit mir!

VON BRAND. Überall schleicht sie mir nach. Schon drei Nächte hintereinander sah ich sie in Totenkleidern; sie winkt mir mit Gebärden, mit Zeichen – ich muß verzweifeln, wenn's noch länger dauert. Ich glaub, sie ist tot.

BLUM. Wenn du nur fortkönntest! Wir wollten uns in die Chaise setzen; und geh's, wie's wolle; ich seh, du kannst nicht leben und sterben. Es kann auch nicht lange mehr dauren mit dir! und ob sie mich mein Leben auf die Festung setzen, oder nicht! Ich mag doch von allen andern Menschen nichts mehr wissen, bist du weg. Nun hör doch, lieber Brand, komm doch ein bißchen wieder zu dir!

VON BRAND. Was hab ich getan? Die nagende, peinigende Verzweiflung – in Schande und Grube gestürzt; sie hat's keinen Tag ausgehalten. Lieber, schieß mich vor den Kopf, daß ich wegkomme! Warum rissest du mich weg? Schaff mir Nachricht, oder mit diesem Messer – ich hab noch so viel Kraft, mir's durch die Brust zu stoßen.

BLUM. Wart nur, bis du ein wenig wieder bei Kräften bist, denn geh ich mit dir hin.

VON BRAND. Ach, mir ist doch alles zerschlagen!

BLUM. Armer Brand, du bist wohl zerschlagen.

VON BRAND. Denk nur; der arme Gesandte, und das Weib! Blum, um Gottes willen, gib mir Gift, und geh heimlich weg! es kennt dich kein Mensch hier. Du siehst, daß ich mehr Verdammung hier leide, als dort. Ach, wenn du's nur eine Zeit fühltest; so kurz, daß ich sie nicht nennen kann, du würdest Mitleiden mit mir haben.

BLUM. Ich wollte dir's gern abnehmen.

VON BRAND. Ich muß zurück.

BLUM. Du sollst nicht![937]

VON BRAND. Du sollst nicht – sag's nicht mehr, willst du mich hier gefangenhalten in Höllenpein?


Magister kommt.


MAGISTER. Meine Herren; um Verzeihung, daß ich so frei bin, und hereinkomme; ich wollte Sie nur fragen, ob Sie nicht wüßten, wo mein Hühnchen hingekommen. Mein liebes Suschen, ach ein böser Bube hat sie mir gestohlen.

BLUM. Seine Tochter?

MAGISTER. Mein liebes Suschen, das ich so werthielt, macht mir so viel Leiden; ich laufe in der Wüste herum, rufe ihr, und höre sie nicht.

BLUM. Wer ist Er denn?

MAGISTER. Der Magister Braun.

BLUM. Aus der Stadt?

MAGISTER. Ja, wissen Sie was?

BLUM. Geb Er mir erst Antwort!

MAGISTER. Hurtig, hurtig, lieber Herr! wo ist mein Suschen?

BLUM. Weiß Er was von dem Gesandten und seiner Frau?

MAGISTER. Sie und ihr Vater sind den Tag begraben worden, als ich wegging. Ach ein großer Jammer!

VON BRAND. Sie ist tot? ich hab Kräfte, sie ist tot! Ab.


Blum ihm nach.


MAGISTER hält ihn. Mein Suschen!

BLUM. Im nächsten Dorf, ist Fritz mit einem Mädchen.


Ab.


MAGISTER. Der Schelm! der Böswicht! Ach mein Hühnchen, soll ich dich wieder haben?


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 937-938.
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