Dem Erlöser

[101] Der Seraph stammelt, und die Unendlichkeit

Bebt durch den Umkreis ihrer Gefilde nach

Dein hohes Lob, o Sohn! wer bin ich,

Dass ich mich auch in die Jubel dränge?


Vom Staube Staub! Doch wohnt ein Unsterblicher

Von hoher Abkunft in den Verwesungen!

Und denkt Gedanken, dass Entzückung

Durch die erschütterte Nerve schauert!


Auch du wirst einmal mehr wie Verwesung seyn,

Der Seele Schatten, Hütte, von Erd' erbaut,

Und andrer Schauer Trunkenbeiten

Werden dich dort, wo du schlummerst, wecken.
[102]

Der Leben Schauplatz, Feld, wo wir schlummerten,

Wo Adams Enkel wird, was sein Vater war,

Als er sich jetzt der Schöpfung Armen

Jauchzend entriss, und ein Leben dastand!


O Feld vom Aufgang bis, wo sie untergeht

Der Sonnen letzte, heiliger Todter voll,

Wenn seh ich dich? wenn weint mein Auge

Unter den tausendmal tausend Thränen?


Des Schlafes Stunden, oder Jahrhunderte,

Fliesst schnell vorüber, fliesst, dass ich aufersteh!

Allein sie säumen, und ich bin noch

Diesseit am Grabe! O helle Stunde,


Der Ruh Gespielin, Stunde des Todes, kom!

O du Gefilde, wo der Unsterblichkeit

Diess Leben reift, noch nie besuchter

Acker für ewige Saat, wo bist du?


Lass mich dort hingehn, dass ich die Stäte seh!

Mit hingesenktem trunkenen Blick sie seh!

Der Erndte Blumen drüber streue,

Unter die Blumen mich leg', und sterbe!
[103]

Wunsch grosser Aussicht, aber nur Glücklichen,

Wenn du die süsse Stunde der Seligkeit,

Da wir dich wünschen, kämst; wer gliche

Dem, der alsdann mit dem Tode ränge?


Dann mischt' ich kühner unter den Throngesang

Des Menschen Stimme, sänge dann heiliger

Den meine Seele liebt! den Besten

Aller gebohrnen, den Sohn des Vaters!


Doch lass mich leben, dass am erreichten Ziel

Ich sterbe! Dass erst, wenn es gesungen ist

Das Lied von dir, ich triumphirend

Über das Grab den erhabnen Weg geh!


O du mein Meister, der du gewaltiger

Die Gottheit lehrtest! zeige die Wege mir,

Die du da gingst! worauf die Seher,

Deine Verkündiger, Wonne sangen.


Dort ist es himlisch! Ach, aus der Ferne Nacht,

Folg' ich der Spur nach, welche du wandeltest:

Doch fällt von deiner Strahlenhöhe

Schimmer herab, und mein Auge sieht ihn.
[104]

Dann hebt mein Geist sich, dürstet nach Ewigkeit,

Nicht jener kurzen, die auf der Erde bleibt;

Nach Palmen ringt er, die im Himmel

Für der Unsterblichen Rechte sprossen.


Zeig mir die Laufbahn, wo an dem fernen Ziel

Die Palme wehet! Meinen erhabensten

Gedanken lehr ihn Hoheit! führ ihm

Wahrheiten zu, die es ewig bleiben!


Dass ich den Nachhall derer, die's ewig sind,

Den Menschen singe! dass mein geweihter Arm

Vom Altar Gottes Flammen nehme!

Flammen ins Herz der Erlösten ströme!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 101-105.
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