Hermann

[288] Durch die Barden


Werdomar, Kerding, und Darmond.


Werdomar.


Auf diesem Steine der alternden Moose,

Wollen wir sitzen, o Barden, und ihn singen.

Keiner tret' hervor, und blick hinab über das Gesträuch,

Das ihn verdeckt den edelsten Sohn des Vaterlands


Denn dort liegt er in seinem Blut

Er selbst da der geheime Schrecken Roms,

Da sie mit Kriegestanz und Flötenspiel des Triumphs

Seine Thusnelda führten.


Blickt nicht hin, ihr weintet;

Sähet ihr ihn in seinem Blute liegen!

Und nicht Thränen soll die Telyn tönen;

Sie soll den Unsterblichen singen!


[289] Kerding.


Hell ist noch mein Jünglingshaar,

Umgürtet ward ich heut mit dem ersten Schwert,

Gewafnet das erstemal mit der Lanz' und der Telyn;

Und ich soll Hermann singen?


Fodert nicht zu viel von dem Jüngling, Väter!

Ich muss mit der goldenen Locke zuvor

Trocknen meine heisse Wange,

Eh ich singe den grössten der Söhne Mana's.


Darmond.


Thränen wein ich der Wuth!

Und will sie nicht trocknen!

Fliesst, fliesst die glühende Wang' herab,

Thränen der Wuth!


Sie sind nicht stumm. Du verminst, was sie rauschen!

Fluch ists! höre sie, Hela!

Keiner der Verräther des Vaterlands, die ihn tödteten,

Sterb' in der Schlacht!


Werdomar.


Sehet ihr den Waldstrom stürzen

Herunter in der Felsenkluft?

Stürzen mit ihm gewälzte Tannen

Zu Hermanns Todtenfeuer?
[290]

Bald ist er Staub, und ruhet

Im Thon der Begräbnisse,

Und in dem heiligen Staube das Schwert,

Bey dem er Untergang dem Eroberer schwur!


Weil', o du des getödteten Geist!

Auf deinem Wege zu Siegmar,

Und höre, wie heiss von dir das Herz

Deines Volkes ist!


Kerding.


Verschweigts Thusnelda, verschweigts,

Dass hier in Blut ihr Hermann liegt!

Sagts dem edlen Weibe, der unglückseligen Mutter nicht,

Dass ihres Thumeliko Vater hier in Blute liegt!


Ihr nicht, die schon vor des stolzen Triumphs

Fürchterlichen Wagen in der Fessel ging!

Du hast ein Römerherz,

Der das der Unglückseligen sagen kann!


Darmond.


Und welcher Vater zeugte dich,

Unglückselige! Segestes auch

Röthet' in der finstern späten Rache sein Schwert!

Flucht ihm nicht! ihm hat schon Hela geflucht!


[291] Werdomar.


Lasst den Namen Segest den Gesang nicht nennen!

Weihet ihn schweigend der Vergessenheit,

Dass über seiner Asche sie

Ruhe mit schwerem Fittig!


Die Saite, die den Namen

Hermanns bebt, wird entehrt,

Wenn sie auch nur mit Einem Zornlaut

Verurtheilt den Verräther!


Hermann! Hermann! singen dem Wiederhall,

Dem geheimen Graun des Hains, den Liebling der edelsten!

Die Barden in vollem Chor, den Führer der kühnsten

In vollem Chor, den Befreyer des Vaterlands!


Schwester Kannä's! Winfelds Schlacht!

Ich sah dich mit wehendem blutigen Haar,

Mit dem Flammenblick der Vertilgung,

Unter die Harfen Walhalla's schweben!


Verbergen wollte Drusus Sohn

Dein vergängliches Denkmaal:

Der Überwundnen weisses Gebein

In dem öden Todesthal!
[292]

Wir duldeten es nicht, und stäubten den Hügel weg!

Denn auch dieses Maal sollte Zeuge der grossen Tage seyn,

Und hören bey dem Frühlingsblumentanz,

Der Überwinder Triumphgeschrey!


Der Schwestern mehr wollt' er Kannä geben,

Gespielen Varus in Elysium!

Ohne der Fürsten neidenden überrufenden Rathschluss,

Ward Varus Gespiele Zäzina!


In Hermanns heisser Seele war

Lang' ein grösserer Gedanke!

Um Mitternacht, bey dem Opfer Thorrs, und dem Kriegsgesang,

Bildet' er sich in ihr, und schwang sich entgegen der That!


Auch dacht' er ihn, wenn er tanzen liess bey dem Mahl

Unter den Lanzen die Jünglinge,

Und umher um den kühnen Tanz

Blutringe warf, den Knaben ein Spiel.
[293]

Der Sturmbesieger erzählt:

In dem Ozeane des fernen Nords ist ein Eilandsberg

Der flammenverkündenden Dampf, als wälz' er Wolken, wälzt,

Dann strömet die hohen Flammen, und meilenlang krachende Felsen wirft!


So verkündete Hermann durch seine Schlacht,

Entschlossen, zu gehn

Über die schützenden Eisgebirge! zu gehn

Hinab in die Ebnen Roms!


Zu sterben da! oder im stolzen Kapitol,

Dicht an der Wagschaal Jupiters,

Zu fragen Tiberius, und seiner Väter Schatten,

Um ihrer Kriege Gerechtigkeit!


Das zu thun! wollt' er tragen Feldherrnschwert

Unter den Fürsten; da züchten sie den Tod auf ihn!

Und in Blute liegt nun der, in dessen Seele war

Der grosse Vaterlandsgedanke!


Darmond.


Hast du sie gehört, o Hela,

Meine zürnende Thräne?

Hast du ihr Rufen gehört,

Hela, Vergelterin?


[294] Kerding.


In Walhalla wird Siegmar, unter der goldenen Äste Schimmer,

Siegeslaub in der Hand, umschwebt von den Tänzen der Enherion,

Von Thuiskon geführt und von Mana,

Der Jüngling den Jüngling empfangen!


Werdomar.


Siegmar wird, mit stummer Trauer,

Seinen Hermann empfangen.

Denn nun fragt er nicht Tiberius, und die Schatten

Seiner Väter, an der Wagschaal Jupiters.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 288-295.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Traumnovelle

Traumnovelle

Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon