Das Grab

[211] An Meta.


Fröhlicher schwebten mir her Lebendigkeiten, Gevögel,

Oder Gewürm,

Welche das Auge nicht sieht, so den hohen Sinus funkeln

Sieht, und des Himmels weisslichen Pfad:

Doch erspäht's durch der Kunst Kristalle diess den Atomen

Nahverwandte Gewürm.

Solche geheime Leben umwimmelten jetzt mich; es waren

Unter dem lieblichen Heer

Bienchen auch, und Täubchen, und Untrenbare, Johannes-

Wurmchen, Schwänchen, ein Chor[212]

Philomelen. An einer sich höhlenden, sterbenden Ulme

Sass ich, und am rieselnden Bach;

Hörete horchend dem Bache, der Nachtigall horchender. Jetzo

Schwebte näher die wimmelnde Schaar,

Schwebte (das wusste sie nicht) zu dem Grabe! Die Schlünde des Baumes

Dufteten Pest, der stürzende Bach

Wagte Tod; und wie nah war ihnen der webende Heerzug,

Welcher, immer gewendet, sich nun,

Schnell wie der Wink, herwirbelte, dann sich fernte. Wie leicht ach

Konten ihm Grab

Werden des Baches, oder des Baums Abgründe! Mich hatten

Träume der dunkeln Pforte geweckt;

Doch ich vergass der guten. Die Nachtigall schmettert', als ob sie

Warnte; allein ich verstand

Auch den Liebling nicht. Verstand ich den singenden Seher;

O so sprang ich auf, und entfloh.[213]

Ach jetzt wurde nicht Bach, nicht Baum; ich wurd' einathmend,

Jener frohen Vögelchen Grab!

Aber nun sang sie auch, wie sie nie gesungen, mein Liebling,

Flötete Wehmuth, wie sie,

Selber als Mutter, nie nicht geflötet, wenn noch die Feder

Flog, und der Geyer vom Blute noch trof.

Unglückseliger! zürnte sie mir, dir weint' an der Lippe

Wehklag'; und du hörtest nicht hin!

Weh dir! Sterbegesang der Philomelchen erscholl dir;

Und du athmetest, athmetest fort!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 211-214.
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